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Mindestlohn Vergütung

Mindestlohn und Akkordzulage – was, wenn der Gesetzgeber schweigt?

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Kann ein Arbeitgeber auch durch die Gewährung einer Akkordzulage den Anspruch auf Mindestlohn gemäß § 1 Abs. 1 Mindestlohngesetz („MiLoG“) erfüllen? Das LAG Hamm hat mit Urteil vom 22.04.2016 (16 Sa 1627/15) hierzu entschieden, dass auch eine Akkordzulage zum Arbeitsentgelt im Sinne von § 1 Abs. 1 MiLoG zählt. Denn eine derartige Leistungszulage sei eine unmittelbare und funktional gleichwertige Gegenleistung für die erbrachte Arbeit. Deswegen sei sie auf den Anspruch auf Mindestlohn in Höhe von derzeit EUR 8,50 anzurechnen.

Dogmatik vs. Praxistauglichkeit

Die Frage, ob Leistungszulagen auf den Mindestlohn anrechenbar sind, ist hoch umstritten und Gegenstand zahlreicher kontroverser Literaturbeiträge und Gerichtsentscheidungen. Das MiLoG selbst schweigt hierzu. Umso relevanter ist daher die genaue Lektüre des hier besprochenen Urteils. Denn das LAG findet eine außerordentlich praxistaugliche Lösung, indem es einen Gleichlauf zwischen reinen Leistungslöhnen und solchen Löhnen, die sich aus einem leistungsunabhängigen (Zeit‑) Grundlohn und einer leistungsabhängigen Zulage zusammensetzen, schafft.

Was war die genaue Vergütungsabrede?

Die Klägerin war als Montagehelferin beschäftigt. Der Arbeitsvertrag sah einen Akkordlohn vor. Gleichwohl wurde ein „Grundstundenlohn“ in Höhe von EUR 6,22 vereinbart. Mit diesem wurde die Produktion von 41,58 Stück/Stunde als zu erreichende 100 %-Leistung vergütet. Zudem gewährte die Arbeitgeberin eine Zulage von EUR 0,1496 für jedes zusätzlich produzierte Stück. Der Gesamtlohn wurde – in Absprache mit dem Betriebsrat – auf 137% und einen Stundenlohn von EUR 8,527 gedeckelt, welchen die Klägerin auch durchschnittlich erhielt.

In erster Instanz hatte das ArbG Herford der Klage auf rückständigen Lohn stattgegeben (Urt. v. 11.09.2015 – 1 Ca 551/15). Hiernach soll der Mindestlohn nur die „Normal“-Leistung vergüten. Daher hätte schon der vereinbarte Grundlohn EUR 8,50 betragen müssen. Entgelt, das für eine Mehrleistung gewährt wird, sei keine funktional gleichwertige Gegenleistung im Sinne des MiLoG und dürfe nicht auf den Mindestlohn angerechnet werden.


Rechtliche Einordnung

Der Bundesrat hatte schon im Gesetzgebungsverfahren des MiLoG darum gebeten klarzustellen, ob und wenn ja welche Lohnbestandteile auf den geschuldeten Stundenlohn anzurechnen sind. Denn es bestünde die Gefahr einer jahrelangen uneinheitlichen Handhabung, bevor diese Rechtsfrage höchstrichterlich geklärt wäre (BT-Drs. 18/1558, S. 61). Gleichwohl blieb eine Regelung aus. In ihrer Antwort zog sich die Bundesregierung auf den Verweis zurück, der Mindestlohn würde einen „Mindestentgeltsatz“ im Sinne des Arbeitnehmerentsendegesetzes darstellen. Daher bedürfe die Rechtsfrage keiner näheren Erläuterung: Schließlich habe die höchstrichterliche Rechtsprechung des EuGH und des BAG den Begriff und die Berechnung eines Mindestlohnes ausreichend geklärt (BT-Drs. 18/1558, S. 67).

Bedauerlicherweise erschöpft sich diese „Rechtssicherheit“ in dem Prinzip der funktionalen Gleichwertigkeit (BT-Drs. 18/1558, S. 67). Hiernach kann die Anrechnung einer Zulage nur erfolgen, wenn das Verhältnis zwischen der Leistung des Arbeitnehmers und der vom Arbeitgeber geschuldeten Gegenleistung unverändert bleibt (EuGH, Urt. v. 07.11.2013 – C-522/12 – Isbir); was nur dann der Fall ist, wenn die Zulage, zusammen mit den anderen Leistungen des Arbeitgebers, ihrem Zweck nach diejenige Arbeitsleistung entgelten soll, die mit dem Mindestlohn vergütet ist (BT-Drs. 18/1558, S. 67). Welche Leistung der Mindestlohn genau vergüten soll und folglich wann eine Gleichwertigkeit dem Zwecke nach vorliegt bleibt ungeklärt.

Der Grundkonflikt ist auf eine schlichte Diskrepanz zurückzuführen: Der nach dem MiLoG geschuldete Lohn ist ein Zeitlohn, der als solcher unabhängig von einem konkreten Leistungserfolg ist. Zur Frage, wie sich dieser Zeitlohn zu einem Leistungslohn (hier Akkordlohn) verhält, schweigt das Gesetz. Die Gesetzesbegründung stellt hierzu lediglich fest: „Vereinbarung von Stücklöhnen und Akkordlöhnen bleib[en] auch nach Einführung des Mindestlohns zulässig, wenn gewährleistet ist, dass der Mindestlohn für die geleisteten Arbeitsstunden erreicht wird.“ (BT-Drs. 18/1558, S. 34). Der Mindestlohn soll folglich nicht zusätzlich zum Akkordlohn gezahlt werden. Vielmehr hat der Akkordlohn erfüllende Wirkung im Sinne des § 362 BGB. Oder andersgewendet: Es erfolgt eine Anrechnung. Entsprechend urteilt das LAG Hamm zu diesem Grundgedanken: Es sei systemwidrig, wenn man den reinen Leistungslohn auf den Mindestlohn anrechnete, bei einer Kombination aus leistungsunabhängigen Grundlohn und leistungsbezogener Zulage aber nur den Grundlohn berücksichtigte. Dieses zutreffende Argument findet eine wesentliche Stütze im Sinn und Zweck des Gesetzes: Denn in erster Linie verfolgte der Gesetzgeber das Ziel, unangemessen niedrige Löhne zu verhindern. Nach dem gesetzgeberischen Willen besteht kein Grund, einem Arbeitnehmer, der in Summe EUR 8,50 für jede tatsächliche Arbeitsstunde erhält, einen „Aufstockungsanspruch“ für einzelne Lohnbestandteile zu geben (so schon ArbG Düsseldorf, Urt. v. 20.04.2015 – 5 Ca 1675/15).

Zudem sei die Akkordzulage eine unmittelbar synallagmatische und funktional gleichwertige Gegenleistung für die Arbeitsleistung. Denn der Mindestlohn vergüte die arbeitsvertraglich geschuldete höchstpersönliche Leistung. Der Leistungsrahmen bestimmt sich daher individuell. Wenn ein Arbeitnehmer mehr zu leisten im Stande sei – und auch mehr leistet – so sei dies die „Normal“-Leistung im Sinne des MiLoG. Ein überdurchschnittlich leistungsfähiger Arbeitnehmer erbringt daher im Rechtssinne gar keine Mehrleistung (Boemke, jurisPR-ArbR 26/2016, Anm.1). Daher kann nach dem MiLoG kein Anspruch auf eine höhere Vergütung bestehen. Mit anderen Worten: Das MiLoG ist blind für den Unterschied zwischen leistungsabhängigen und ‑unabhängigen Bestandteilen.

Ausblick

Dieses Ergebnis überzeugt nicht nur durch gesundes Augenmaß, sondern auch durch eine hohe Praxistauglichkeit: Kombinierte Löhne können weiter genutzt werden, um Leistung zu mobilisieren. Dieses individualvertragliche Anreizsystem birgt keine Rechtsunsicherheit hinsichtlich der Berechnung des Mindestlohns. Allerdings ist die Revision aufgrund der besonderen Bedeutung der Rechtssache zugelassen und beim Bundesarbeitsgericht anhängig (10 AZR 317/16). Wie das BAG diese Frage entscheiden wird, ist allerdings offen: Denn das LAG setzt sich in ausdrücklichen Widerspruch zu den Ausführungen der Bundesregierung. Diese hielt gerade solche Zulagen, die für eine Mehrarbeit je Zeiteinheit gewährt werden (Akkordprämien), für nicht anrechenbar (BT-Drs. 18/1558, S. 67). Wir werden berichten.

Mitautorin: Assessorin Vivien Pawloff

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