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Betriebsübergang

Widerspruch mehr als 8 Jahre nach Betriebsübergang?

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Widerspruch

In der Folge von Betriebsübergängen besteht beim Veräußerer des Betriebs ebenso wie bei dessen Erwerber große Unsicherheit hinsichtlich des Überganges der Arbeitsverhältnisse, denn den Arbeitnehmern steht ein Widerspruchsrecht zur Seite. Die Phase der Unsicherheit ist bei fehlerfreier Belehrung der Arbeitnehmer durch die einmonatige Widerspruchserklärungsfrist des § 613a Abs. 6 S. 1 BGB begrenzt. Anderenfalls ist nur die Verwirkung des Widerspruchsrechts denkbar. Aktuell beschäftigte sich das LAG Hamburg (Urt. v. 07.10.2016 ‑ 6 Sa 21/16) mit der Frage, wann das Widerspruchsrecht verwirkt.

Was war passiert?

Das Arbeitsverhältnis des klagenden Arbeitnehmers ging durch einen Betriebsübergang zum 01.01.2006 von der bisherigen Arbeitgeberin auf die neue Inhaberin des Betriebs über. Schon im November 2005 wurde der Arbeitnehmerdementsprechend schriftlich unterrichtet. Das Unterrichtungsschreiben enthielt allerdings keine Angaben zum Sitz der übernehmenden Gesellschaft und deren Anschrift, zum zuständigen Registergericht und zu der Registernummer. Diese Daten wurden dem Arbeitnehmerdurch die Verwendung der Briefbögen der Betriebsübernehmerin ab dem 02.01.2006 bekannt. Im Informationsschreiben waren zudem die Angaben zu den Haftungsfolgen nach § 613a Abs. 2 BGB unvollständig.

Bis zu seinem Widerspruch am 01.08.2014, also über einen Zeitraum von mehr als acht Jahren, wendete sich der Arbeitnehmerin keiner Weise gegen den Betriebsübergang oder deutete an, dass er die neue Betriebsinhaberin nicht als seine Arbeitgeberin anerkennen wolle. Vielmehr beantragte er bei dieser regelmäßig seinen Erholungsurlaub, nahm dort an tätigkeitsspezifischen Lehrgängen teil und gab ihr gegenüber eine Reihe von Erklärungen ab, die sich auf Verpflichtungen im Arbeitsverhältnis bezogen. So zeigte er unter anderem an, keine Nebentätigkeit auszuüben und gab eine Verpflichtungserklärung zur Wahrung des Post-, des Fernmelde- und des Darlehensgeheimnisses ab. Außerdem nahm er seine Versetzung durch die neue Betriebsinhaberin an einen anderen Dienstort und den für ihn dadurch erforderlichen Umzug anstandslos hin.


Die Verfristung des Widerspruchs und das Unterrichtungsschreiben

Dem durch den Betriebsübergang automatisch erfolgenden Übergang ihres Arbeitsverhältnisses auf den neuen Betriebsinhaber können Arbeitnehmer gemäß § 613a Abs. 6 S. 1 BGB widersprechen, mit der Folge, dass das Arbeitsverhältnis zum alten Arbeitgeber bestehen bleibt. Dieses Widerspruchsrecht muss nach § 613a Abs. 6 S. 1 BGB innerhalb von einem Monat ausgeübt werden. Die Frist beginnt allerdings nur zu laufen, wenn der Arbeitnehmer fehlerfrei gemäß § 613a Abs. 5 BGB belehrt wurde.

Die Belehrung ist fehlerhaft, wenn der Sitz der Gesellschaft und das zuständige Registergericht nicht angegeben sind sowie wenn die Information zu den haftungsrechtlichen Folgen des § 613a Abs. 2 BGB unvollständig ist (BAG, Urt. v. 15.03.2012 – 8 AZR 700/10 und Urt. v. 22.01.2009 – 8 AZR 808/07).

Für die Beurteilung der Ordnungsmäßigkeit der Belehrung ist es unerheblich, ob der belehrte Arbeitnehmer die fehlenden Informationen aus anderen Quellen erlangt hat. Folglich war die Belehrung im vorliegenden Fall fehlerhaft und das Widerspruchsrecht verfristete nicht.

 

Die Verwirkung

Wurden die Arbeitnehmer nicht gemäß § 613a Abs. 5 BGB ordnungsgemäß belehrt, kommt lediglich eine Verwirkung des Widerspruchsrechts in Betracht. Mit der Verwirkung wird die illoyal verspätete Geltendmachung von Rechten ausgeschlossen. Sie dient damit dem Zweck, Klarheit in rechtlichen Beziehungen herzustellen und schützt das Vertrauen des Erklärungsempfängers in den aus seiner Sicht gefestigten status quo.

Das Widerspruchsrecht des § 613a BGB ist verwirkt, wenn der Arbeitnehmer längere Zeit nicht widersprochen (Zeitmoment) und darüber hinaus den Eindruck erweckt hat, dass er nicht mehr widersprechen wolle (Umstandsmoment).

Das Zeitmoment und das Umstandsmoment müssen stets beide erfüllt sein. Sie stehen allerdings in einer Wechselwirkung. Je ausgeprägter also die eine Variable ist, umso geringer sind die Anforderungen an die andere.

Das Zeitmoment

Es gibt keine festgelegte Frist, ab der die Erfüllung des Zeitmomentes stets anzunehmen ist. Das BAG (Urt. v. 17.10.2013 – 8 AZR 974/12) hält bei Vorliegen eines entsprechend starken Umstandsmoments eine Frist von 6 Monaten ab der Belehrung für ausreichend zur Erfüllung des Zeitmoments. Die im vorliegenden Fall zwischen der Belehrung und dem Widerspruch liegenden 8 Jahre und 9 Monate erfüllen das Zeitmoment daher bei weitem.

Das Umstandsmoment

Die Anforderungen an das Umstandsmoment sind also im vorliegenden Fall verringert. Nach der ständigen Rechtsprechung des BAG (vgl. Urt. v. 15.03.2012 – 8 AZR 700/10) kann das Umstandsmoment keinesfalls durch bloßes Weiterarbeiten des Arbeitnehmers für den neuen Betriebsinhaber erfüllt werden. Andererseits ist das Umstandsmoment stets erfüllt, wenn der Arbeitnehmer gegenüber dem neuen Betriebsinhaber über den Bestand seines Arbeitsverhältnisses disponiert, also einen Aufhebungsvertrag abschließt oder eine vom Betriebserwerber ausgesprochene Kündigung hinnimmt. Im vorliegenden Fall fehlt eine Dispositionshandlung, weshalb die Vorinstanz zu dem Ergebnis kam, das Widerspruchsrecht sei nicht verwirkt.

Allerdings können auch andere Verhaltensweisen in der Gesamtschau des Einzelfalles das Umstandsmoment erfüllen, insbesondere wenn durch eine schwerwiegende Verwirklichung des Zeitmoments die Anforderungen an das Umstandsmoment herabgesetzt sind. Das Vorliegen solcher Verhaltensweise nahm das LAG Hamburg hier an. Dabei stützt es sich primär darauf, dass der Kläger der Versetzung durch die neue Betriebsinhaberin anstandslos Folge leistete und dafür einen Umzug auf sich nahm. Damit habe er sich in nach außen sichtbarer ‑ und damit das Vertrauen der neuen Betriebsinhaberin auslösender ‑ Weise zu dem Arbeitsverhältnis bekannt. Die Erklärungen, die der Arbeitnehmer bezüglich der Verpflichtungen im Arbeitsverhältnis abgegeben hatte, führte das Gericht lediglich vorsorglich an.

Fazit und Praxisempfehlung

Das Urteil des LAG Hamburg überzeugt durch die Annahme, dass bei einem so schwerwiegend verwirklichten Zeitmoment bereits die Hinnahme einer Versetzung an einen anderen Dienstort für die Verwirklichung des Umstandsmoments genügt. Allerdings verbleibt mangels festgelegter Fristen und eindeutiger Aussagen dazu, wann welche Handlungsweisen zur Erfüllung des Umstandsmoments genügen, Rechtsunsicherheit. Diese kann nur durch fehlerfreie Belehrungen vermieden werden. Daher ist besondere Sorgsamkeit bei deren Erstellung geboten. Sollte die Belehrung zunächst unvollständig sein, so besteht immerhin die Möglichkeit, diese zu einem späteren Zeitpunkt (auch nach dem Betriebsübergang) zu ergänzen und damit den Lauf der Monatsfrist auszulösen (BAG, Urt. v. 23.07.2009 – 8 AZR 558/08).

Vgl. zum „Kettenwiderspruch“ und einer dabei möglichen Verwirkung den Beitrag von Moritz von der Ehe hier auf diesem Blog.

KLIEMT.Arbeitsrecht




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