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Betriebsübergang Interessenausgleich Umstrukturierung

Transfergesellschaften, dreiseitiger Vertrag und übertragende Sanierung

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Transfergesellschaft

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts haben Sozialpläne Überbrückungscharakter. Nur wenn Nachteile ausgeglichen werden sollen, die zwar in der Vergangenheit entstanden sind, aber noch in der Zukunft fortwirken, können sie auch Entschädigungscharakter aufweisen. Es geht bei Sozialplanleistungen also nicht um Kompensation für verlorenen „Besitzstand“, sondern um eine „Überbrückungshilfe“ für die Zeit bis zum Beginn eines neuen Arbeitsverhältnisses.

An dieser Funktion setzt auch der sog. Transfersozialplan an, der immer häufiger an die Stelle des klassischen Abfindungssozialplans tritt. Der im Transfersozialplan vereinbarte Wechsel der von der Betriebsänderung betroffenen Arbeitnehmer in die Transfergesellschaft (auch Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaft genannt) vollzieht sich regelmäßig auf Grundlage eines dreiseitigen Vertrags zwischen Arbeitgeber, Arbeitnehmer und der externen Transfergesellschaft.

Dreiseitiger Vertrag und Kooperationsvertrag

Der dreiseitige Vertrag besteht zumeist aus dem Aufhebungsvertrag zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer, dem sachgrundlos befristeten Arbeitsvertrag zwischen der Transfergesellschaft und dem Arbeitnehmer sowie dem Kooperationsvertrag zwischen Arbeitgeber und der Transfergesellschaft. Der Kooperationsvertrag ist ein Geschäftsbesorgungsvertrag gemäß § 675 BGB. Typischerweise werden im Kooperationsvertrag insbesondere Regelungen über die Finanzierung der Gesellschaft getroffen.

Finanzierung der Transfergesellschaft

Die Agenturen für Arbeit gewähren Transferkurzarbeitergeld unter anderem nämlich nur, wenn die finanzielle Ausstattung der Transfergesellschaft gesichert ist. Der Arbeitgeber muss sich zur Mitfinanzierung der Transfergesellschaft verpflichten. Zu den Eigenleistungsposition des Arbeitgebers zählen die sog. Remanenzkosten (z.B. Entgeltfortzahlung während Urlaub und an Feiertagen, Arbeitgeber- und Arbeitnehmeranteil zur Sozialversicherung), der Arbeitgeberanteil an den Weiterbildungs-/Qualifizierungskosten gemäß § 111 Abs. 7 SGB III (entfällt regelmäßig bei Insolvenz des Arbeitgebers), eine Verwaltungskostenpauschale für Dienstleistungen der Transfergesellschaft und ggfs. Aufstockungsbeträge zum Transferkurzarbeitergeld. Üblicherweise wird das Transferkurzarbeitergeld durch Arbeitgeberzuschüsse auf 70 bis 80 % des vorherigen Nettolohnes aufgestockt. Aufstockungen auf über 90 % des Nettolohnes werden mittlerweile von vielen Arbeitsagenturen regelmäßig nicht mehr akzeptiert, da sonst jeglicher Anreiz zur Aufnahme einer neuen Beschäftigung verloren ginge. Ferner können auch sog. Mobilitäts- oder Sprinterprämien für Mitarbeiter vereinbart werden, die vorzeitig aus der Transfergesellschaft in ein neues Beschäftigungsverhältnis vermittelt werden konnten.


Anfechtungsmöglichkeiten durch den Arbeitnehmer

In der Praxis kommt es zuweilen vor, dass Arbeitnehmer den dreiseitigen Vertrag wegen arglistiger Täuschung anfechten können. Dies etwa dann, wenn der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer vorgespiegelt hat, sein Arbeitsplatz falle wegen einer Betriebsstilllegung weg, in Wirklichkeit aber keine Betriebsstilllegung, sondern ein Betriebsübergang geplant ist.

Eine Anfechtung wegen widerrechtlicher Drohung dürfte dagegen regelmäßig nicht in Betracht kommen. Sofern der Arbeitgeber für den Fall, dass der Arbeitnehmer nicht zum Wechsel in eine Transfergesellschaft bereit ist, eine betriebsbedingte Kündigung in Aussicht stellt, ist diese „Drohung“ jedenfalls nicht widerrechtlich. Denn nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist die Androhung einer Kündigung nur dann widerrechtlich, wenn ein „verständiger Arbeitgeber eine Kündigung nicht ernsthaft in Betracht ziehen durfte“. Erst recht dürfte eine Anfechtung ausgeschlossen sein, wenn dem Arbeitnehmer die Möglichkeit eingeräumt wird, Rechtsrat einzuholen.

§ 613 a BGB als Sanierungshindernis 

Insbesondere bei einem Erwerb aus der Insolvenz sind die Rechtsfolgen des § 613a BGB ein Sanierungshindernis und können eine übertragende Sanierung sowie die Rettung von Arbeitsplätzen verhindern. In diesen Fällen wurden bis Anfang der 2010 Jahre Transfergesellschaften als beliebtes Vehikel im Rahmen einer übertragenden Sanierung eingesetzt.

Risikogeschäft erforderlich

Diese Praxis ist in durch die rigide Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zunehmend eingeschränkt worden. Dennoch gilt weiterhin: Wenn noch unklar ist, ob der Erwerber den Arbeitnehmer übernehmen wird, ist der Abschluss des Aufhebungsvertrages (bzw. dreiseitigen Vertrages) als sog. „Risikogeschäft“ keine Umgehung der zwingenden Rechtsfolgen des § 613 a BGB. Es ist die autonome Entscheidung des Arbeitnehmers, wegen des „Risikos“, vom Betriebserwerber womöglich nicht übernommen zu werden, (gegen Abfindung) aus dem Arbeitsverhältnis auszuscheiden.

Losentscheid? 

Anders liegt nach der Rechtsprechung der Fall jedoch, wenn der Erwerber dem Arbeitnehmer eine Übernahme bereits „verbindlich in Aussicht gestellt“ hat. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts kann ein „verbindliches Inaussichtstellen“ eines neuen Arbeitsplatzes auch darin liegen, dass dem Arbeitnehmer neben dem dreiseitigen Vertrag noch ein (vom Betriebserwerber noch nicht unterzeichneter) Arbeitsvertragsentwurf zur Unterschrift vorgelegt wird, jedoch das „Los“ (bei einer Wahrscheinlichkeit von 352/452) über die Übernahme des Arbeitnehmers entscheiden soll. Das Bundesarbeitsgericht argumentierte, indem der Erwerber den Arbeitnehmern eine Chance von 352/452 (ca. 78 %) auf Übernahme einräume, habe er einen neuen Arbeitsplatz bereits „verbindlich in Aussicht gestellt“. Denn der Erwerber habe sich den Arbeitnehmern gegenüber an den Ausgang des Losentscheids gebunden. Wenn das Bundesarbeitsgericht, so auch in dieser Entscheidung, stets ausdrücklich betont, eine unzulässige Umgehung des mit § 613 a BGB bezweckten Vertragsinhaltsschutzes läge nur vor, „wenn bei Abschluss des Aufhebungsvertrages bereits sicher festgestanden habe, dass der Betriebserwerber den Arbeitnehmer übernehmen wolle“, hätte die Klage des Arbeitnehmers (im Streitfall ging es um die Anrechnung von Beschäftigungszeiten beim Veräußerer trotz Aufhebungsvertrages) gleichwohl abgewiesen werden müssen: Denn auch bei einer Chance von ca. 78 % besteht ein Risiko von 22 %, den Arbeitsplatz beim Erwerber nicht zu bekommen. Insofern unterschied sich der Fall deutlich vom sog. „Lemgoer Modell“, in dem bereits verbindliche Zusagen des Erwerbers vorlagen und der Abschluss des Aufhebungsvertrages nur dazu diente, den Vertragsinhaltsschutz des § 613 a BGB zu durchbrechen.

Kurze Verweildauer als Indiz für Umgehung der zwingenden Rechtsfolgen des § 613 a BGB

In dem vom Bundesarbeitsgericht entschiedenen Fall kam aber noch hinzu, dass das Arbeitsverhältnis in der Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaft nur für einen Tag bestehen sollte. Das Bundesarbeitsgericht sah hierin und auch bei weiteren Fällen mit noch kürzerer Verweildauer offensichtlich eine rechtsmissbräuchliche Gestaltung. Denn es wies darauf hin, der Übergang in die Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaft sei ja „nur zum Schein“ erfolgt.

Dabei änderte auch die nur eintägige Verweildauer in der Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaft nichts daran, dass Aufhebungs- und neuer Arbeitsvertrag hier gerade nicht funktionswidrig miteinander verknüpft wurden: Da der Erwerber dem Arbeitnehmer die Weiterbeschäftigung eben nicht rechtsverbindlich zugesagt hatte, konnte die mit § 613 a BGB bezweckte inhaltliche Kontinuität des Arbeitsverhältnisses gar nicht geschützt werden.

Schwachstellen der Rechtsprechung

Ungeachtet ihrer erheblichen dogmatischen Schwachstellen ist diese Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts auch sozialpolitisch verfehlt: Will der Erwerber eine Unwirksamkeit zuvor abgeschlossener Aufhebungsverträge vermeiden, darf er dem Arbeitnehmer erst nach längerer Verweildauer in der Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaft ein Arbeitsplatzangebot unterbreiten. Dies ist wirtschaftlich sinnlos und macht in den meisten Fällen die übertragende Sanierung unmöglich.

Mehr zu Transfergesellschaften, insbesondere zu den neuen Förderungsmöglichkeiten gemäß § 111 a SGB III finden Sie im Beitrag von Verena Herkenberg vom 4. August 2016, Neues bei Transfergesellschaften – Das AWStG.

Dr. Markus Janko 

Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht
Partner
Markus Janko berät Arbeitgeber ins­be­son­dere bei Umstruk­tu­rie­run­gen, Unter­neh­mens­käu­fen und Due Diligence-Prozessen. Besondere Expertise besitzt er in der Unterstützung inter­na­tio­na­ler Konzerne, dem Einsatz von Trans­fer­ge­sell­schaf­ten und im Insol­venz­ar­beits­recht. Hier zeichnet er sich durch die Beratung namhafter Insol­venz­ver­wal­ter in großen Insol­venz­ver­fah­ren sowie von Unter­neh­men bei Unter­neh­mens­käu­fen aus der Insolvenz und der arbeits­recht­li­chen Sanierung in Schutz­schirm­ver­fah­ren aus. Er ist Mitglied der Fokusgruppe „Digitalisierung und Mitbestimmung“.
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