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Antidiskriminierung

AGG: Sprachkunde mit dem Bundesarbeitsgericht

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AGG

Über die Tücken des Allgemeinen Gleichstellungsgesetzes (AGG) bei der Formulierung von Stellenanzeigen mit Bezügen zum Alter hatten wir erst kürzlich hier berichtet. Das AGG enthält neben dem Alter bekanntlich noch eine Reihe weiterer Anknüpfungspunkte für Diskriminierungen und so ergehen mit hoher Frequenz immer neue Entscheidungen. In einem vom Bundesarbeitsgericht am 15. Dezember 2016 entschiedenen Fall (Az.: 8 AZR 418/15) sah sich eine Bewerberin durch eine Stellenanzeige und Fragen in einem Onlinebewerbungsverfahren gleich in mehrfacher Hinsicht diskriminiert.

Der Fall

Bei der Klägerin handelt es sich um eine 1961 in Russland geborene deutsche Staatsangehörige und studierte Systemtechnik-Ingenieurin, die es in der „AGG-Szene“ zu einiger Bekanntheit gebracht hat. Sie gilt als extrem umtriebig und hält Arbeitgeber und Gerichte seit mehreren Jahren in Atem. Eine frühere Diskriminierungsklage (gegen dieselbe Beklagte wie im vorliegenden Fall) hatte es bis vor den Europäischen Gerichtshof gebracht (EuGH – Urteil vom 19. April 2012, Az.: C-415/10, „Meister“) und wurde anschließend vom Bundesarbeitsgericht abgewiesen. Diese Niederlage war offenbar Anlass genug für die Dame, postwendend einen erneuten Versuch zu starten.

Die abermals Beklagte ist eine im Bereich Internetportale und Mobile tätige Tochtergesellschaft eines Telekommunikationsunternehmens. Im Juni 2013 hatte sie in ihrem Online-Bewerbungsportal eine Stellenanzeige für die Position „Android Software Entwickler (m/w)“ geschaltet. Im Anzeigentext wurde unter anderem die Zusammenarbeit mit „engagierten freundlichen Kollegen“ angepriesen. Im Onlinebewerbungsformular konnten Bewerber freiwillig ihr Alter angeben. Zu den Pflichtangaben gehörte die Auswahl der Anrede (Herr/Frau) sowie Angaben zu Deutschkenntnissen. Zur Auswahl standen insoweit die Möglichkeiten „Deutsch Muttersprache“, „Deutsch verhandlungssicher“, „Deutsch fortgeschritten“ und „Deutsch Grundkenntnisse“. Die Klägerin bewarb sich auf die Stelle, gab ihr Alter nicht an und wählte bei besagten Pflichtangaben „Frau“ und „Deutsch fortgeschritten“. Nachdem die Beklagte die Stelle – wenig überraschend – nicht an die Klägerin, sondern an einen jüngeren männlichen Bewerber mit einem Studienabschluss in einer Geisteswissenschaft vergeben hatte, verlangte die Klägerin eine Entschädigung gemäß § 15 AGG. Sie machte geltend, die Beklagte habe sie wegen ihres Alters, ihres Geschlechts sowie ihrer ethnischen Herkunft – jedenfalls aber bei einer Gesamtschau aller Umstände – benachteiligt. Vor dem Arbeits- und dem Landesarbeitsgericht Hamburg blieb ihrer Klage auf ganzer Linie erfolglos.


Das Bundesarbeitsgericht hat die Entscheidung der Instanzgerichte bestätigt. Dies jedoch nicht, ohne ein weitere Diskriminierungs-Fallgruppe aufzuzeigen.

Keine Benachteiligung wegen des Geschlechts oder des Alters

Wie die Vorinstanzen konnte das Bundesarbeitsgericht im konkreten Fall keine Indizien im Sinne des § 22 AGG erkennen, die eine Benachteiligung wegen des Geschlechts oder des Alters vermuten lassen. Die Ausführungen des 8. Senats lassen sich wie folgt zusammenfassen:

  • Die Verwendung männlicher Formen (hier etwa die Pluralform „Kollegen“) stellt kein Indiz für eine Diskriminierung dar, wenn durch den Zusatz „m/w“ in der Überschrift der Stellenanzeige klargestellt ist, dass Frauen wie Männer gleichermaßen angesprochen werden sollen. Die Stellenanzeige ist dann als geschlechtsneutral zu bewerten.
  • Die Auswahlmöglichkeit Herr/Frau dient alleine dazu, Bewerbungen zeitnah mit zutreffender Anrede beantworten zu können. Der von der Klägerin gezogene Rückschluss, Bewerbungen von Frauen seien unerwünscht, lässt sich nicht ziehen.
  • Die den Bewerber nicht verpflichtende Abfrage des Geburtsdatums ist zulässig. Es existiert kein Erfahrungssatz, wonach der Arbeitgeber mit der bloßen Frage nach dem Geburtsdatum signalisiert, lediglich jüngere Mitarbeiter beschäftigen zu wollen.
  • Eine Diskriminierung ergibt sich auch nicht aus einem Zusammenspiel der Gründe (sog. intersektionelle Benachteiligung). Vielmehr ist jede etwaige Benachteiligung für sich genommen zu überprüfen. Eine Kombination mehrerer in Frage kommender Gründe kann damit nicht zu einer Diskriminierung führen, wenn eine Diskriminierung für jeden der Gründe einzeln ausgeschlossen wurde.

So weit, so gut. Bemerkenswerter sind indes die Ausführungen zu der Frage nach den Deutschkenntnissen im Rahmen des Onlinebewerbungsverfahrens.

Vorsicht bei Sprachkenntnissen

Die Vorinstanz (Landesarbeitsgericht Hamburg, Urteil vom 11. Februar 2015 – 5 Sa 33/14)  hatte die Auffassung vertreten, mit der Formulierung „Deutsch Muttersprache“ sei üblicherweise eine perfekte Beherrschung der deutschen Sprache gemeint. Ein Rückschluss auf das AGG-Merkmal ethnische Herkunft lasse sich – insbesondere in einer multikulturellen Gesellschaft – nicht treffen. Auf den Punkt gebracht:

„Mitglieder der in Deutschland in einer Vielzahl vertretenen Ethnien verfügen regelmäßig über hervorragende, also muttersprachliche Kenntnisse der deutschen Sprache“.

Ein Indiz für eine Diskriminierung sah das Berufungsgericht folglich nicht.

Das Bundesarbeitsgericht kam zwar im konkreten Fall zum gleichen Ergebnis, da das Onlinebewerbungsformular mehrere Auswahlmöglichkeiten vorsah. Dieser Umstand – so der 8. Senat – lasse es als durchaus möglich erscheinen, dass es der Beklagten ausschließlich darum ging, sich Informationen über das Sprachniveau der Bewerber zu verschaffen. Die gemäß § 22 AGG zur Annahme einer Diskriminierung erforderliche überwiegende Wahrscheinlichkeit, dass die Beklagte nur Muttersprachler suchte, bestehe daher nicht. Grundsätzlich stellte das Bundesarbeitsgericht allerdings klar, dass der Begriff „Muttersprache“ den primären Spracherwerb betreffe und damit typischerweise mittelbar mit der ethnischen Herkunft verknüpft ist. Dies mit Verweis u.a. auf den Duden:

„Die Muttersprache ist die Sprache, die man von Kind auf bzw. als Kind (typischerweise von den Eltern) gelernt hat.“

Der Begriff „Muttersprache“ in einer Stellenanzeige oder im Rahmen eines Bewerbungsverfahrens kann daher grundsätzlich ein Indiz für eine Benachteiligung darstellen. Damit scheint die Entscheidung in einem anderen derzeit anhängigen Revisionsverfahren (Az.: 8 AZR 402/15) vorgezeichnet. Im dortigen Fall hatte ein Unternehmen eine Stelle für ein Bürohilfen ausgeschrieben (deren Aufgabe es unter anderem sein sollte, ein Buch in deutscher Sprache zu verfassen) und als Anforderung „Deutsch als Muttersprache“ in die Stellenanzeige aufgenommen. Ein ukrainisch stämmiger Mann hatte nach erfolgloser Bewerbung geklagt und war vor dem Arbeitsgericht zunächst gescheitert. Das Landesarbeitsgericht Hessen (Urteil vom 15. Juni 2015 – 16 Sa 1619/14) hat die beklagte Arbeitgeberin jedoch zu einer Entschädigungszahlung in Höhe von 3.200 € verurteilt und – wie nunmehr auch das Bundesarbeitsgericht – die Auffassung vertreten, „Muttersprache“ werde im allgemeinen Sprachgenrauch gerade nicht mit einer perfekten Beherrschung der Sprache gleichgesetzt. Durch diese Formulierung könnten vielmehr Menschen von einer Bewerbung abgehalten werden, die zwar perfekt Deutsch sprechen, aber eben keine Muttersprachler im „engeren Sinne“ sind. Das Landesarbeitsgericht Hessen kam folglich zu dem Schluss, die Beklagte habe den Kläger aufgrund seiner ethnischen Herkunft diskriminiert. Da half es ihr auch nicht, dass sie die ausgeschriebene Stelle letztlich mit einer gebürtigen Afghanin besetzt und bereits seit längerem eine in Deutschland geborene Marokkanerin auf einer vergleichbaren Position beschäftigt hatte.

Fazit

Man könnte sich nun fragen: Welche Muttersprache hat ein gebürtiger Spanier, dessen Mutter in seinem sechsten Lebensjahr nach Deutschland ausgewandert ist, einen deutschen Mann geheiratet hat und die Eheleute ihn fortan zweisprachig erzogen haben? Oder eine in Deutschland geborene und aufgewachsene Türkin mit doppelter Staatsbürgerschaft, deren Eltern nur Türkisch, die älteren Geschwister und Freunde aber vor allem Deutsch mit ihr gesprochen haben? Oder das Kind eines deutschen Diplomatenpaares, das seine Schulzeit auf englischsprachigen internationalen Schulen verbracht hat und Deutsch nur mit Akzent spricht? Die großzügige Auslegung des Landesarbeitsgerichts Hamburg (Muttersprache = perfekte Beherrschung der Sprache) erscheint insoweit durchaus sachgerecht und lebensnah.

Nichtsdestotrotz gehört „Muttersprache“ auf die mittlerweile lange schwarze Liste von Begriffen („jung und dynamisch“, „frisch gebacken“, „körperlich uneingeschränkt leistungsfähig“, „mobil“, „dann sind Sie unser Mann…“, „Vollzeitstelle“, um nur einige zu nennen), von deren Verwendung Arbeitgeber absehen sollten. Kommt es für eine Position objektiv in ganz besonderem Maße auf Sprachfähigkeiten an (akzentfreie Aussprache, Kenntnis von Idiomen und Spracheigentümlichkeiten), könnte eine zulässige Formulierung „Sprachfähigkeiten auf muttersprachlichem Niveau“ lauten. Am sichersten ist es allerdings immer noch, auf jedwede Formulierung zu verzichten, die einen Bezug zu den in § 1 AGG genannten Gründen zulässt – auch wenn dies auf Kosten der Aussagekraft der Stellenanzeige gehen mag.

KLIEMT.Arbeitsrecht




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