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Arbeitsvertrag Mindestlohn

Mindestlohn: Die wichtigsten Fragen und Antworten

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Mindestlohn

Der allgemeine gesetzliche Mindestlohn ist zum 1. Januar 2016 ein Jahr in Kraft. Sinn und Unsinn dieses Gesetzes sind bereits hinreichend öffentlichkeitswirksam diskutiert worden; die Praxis muss sich schlicht mit der Existenz des Mindestlohnes und seiner Handhabung im Unternehmensalltag auseinandersetzen. Wir geben einen Kurzüberblick über die praktisch relevantesten Rechtsfragen.

Wen betrifft der gesetzliche Mindestlohn?

Der gesetzliche Mindestlohn gilt seit dem 1. Januar 2015 für alle Arbeitsverhältnisse (§ 22 Abs. 1 S. 1 MiLoG); jeder Arbeitnehmer hat Anspruch auf Zahlung eines Arbeitsentgelts mindestens in Höhe des Mindestlohns durch den Arbeitgeber (§ 1 Abs. 1 S. 1 MiLoG).

Für sämtliche Arbeitnehmer – unabhängig davon, ob sie EUR 1.000,- oder EUR 20.000,- im Monat verdienen – gilt, dass sie einen Lohn erhalten müssen, der berechnet auf Stundenbasis mindestens EUR 8,50 brutto erreicht. Eine Durchschnittsberechnung ist nicht zulässig. Das Gesetz sieht insbesondere eigene Regelungen zur Fälligkeit, zum Verzicht und der Verwirkung von Mindestlohnansprüchen vor, die für alle Arbeitnehmer hinsichtlich des Lohnanteils gelten, welcher dem Mindestlohn entspricht. Diese Regelungen führen zu einem massiven Einfluss auf und Anpassungsbedarf hinsichtlich bestehender Regelungen.


Für welche Beschäftigten gilt der Mindestlohn?

Der Mindestlohn gilt für alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit Ausnahme der folgenden:

  • Jugendliche unter 18 Jahren ohne Berufsausbildung (fraglich, da möglicherweise altersdiskriminierend)
  • Berufsauszubildende
  • Ehrenamtliche Tätigkeiten (nicht näher definiert; eng auszulegen)
  • Ehemalige Langzeitarbeitslose in den ersten sechs Monaten neuer Tätigkeit
  • Pflichtpraktikanten, freiwillige Praktikanten bis max. 3 Monate, Einstiegsqualifizierung.
  • Volontäre (ausweislich der Gesetzesbegründung, aber nicht im Gesetz aufgenommen risikobehaftet)

Vom Mindestlohn erfasst sind damit insbesondere Werkstudenten, die “Generation Praktikum” (alle nicht ausdrücklich ausgenommenen Formen von Praktika), Saisonarbeitskräfte, Rentner und Minijobber.

Welche Folgen hat der Bezug auf Stundenbasis?

Das Abstellen des Gesetzes auf die Zeitstunde als Bemessungsgrundlage wirft die Frage auf, welche Referenzzeiträume für die Lohngewährung überhaupt berücksichtigungsfähig sind und welche Leistungszwecke auf den Mindestlohn angerechnet werden können. Nach der Gesetzessystematik ist davon auszugehen, dass sämtliche Zahlungen berücksichtigt werden können, die Leistungsbezug besitzen und zumindest monatlich ausgezahlt werden (gesetzlicher Fälligkeitszeitpunkt nach dem MiLoG). Das heißt im Einzelnen:

Anrechenbar:

  • Sonderzahlungen mit Leistungsbezug, soweit sie monatlich anfallen (s.a. ArbG Düsseldorf, Urteil vom 20. April 2015, 5 Ca 1675/15)
  • Stücklohn, wenn der Mindeststundenlohn im Monat als Untergrenze gewahrt ist
  • Bereitschaftszeiten unter bestimmten Umständen, wenn Mindestlohn gewährleistet ist (s.a. ArbG Aachen, Urteil vom 21.04.2015, 1 Ca 448/15)
  • Vergütung überdurchschnittlicher Leistungen (z.B. Akkord-und Qualitätsprämien)? – umstritten.
    • „Leistungszulagen“, die tatsächlich aber zur Vergütung der Normalleistung gezahlt werden, sind anrechenbar (LAG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 11. August 2015 – 19 Sa 819/15).

Nicht anrechenbar:

  • Leistungen, die nicht funktional gleichwertig zum Mindestlohn sind (Vergütung für Leistung pro Stunde) wie z.B.:
    • Erschwerniszulagen, Schmutzzulagen, Nacht- und Feiertagszulagen;
    • Betriebstreueprämien (LAG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 2. Oktober 2015 – 9 Sa 570/15);
    • zusätzliches Urlaubsgeld (s.a. ArbG Berlin, Urteil vom 4. März 2015, 54 Ca 14420/14; ArbG Bautzen, Urteil vom 15. Juni 2015 – 1 Ca 1094/15; LAG Berlin-Brandenburg, Urteile vom 25. September 2015 – 8 Sa 677/15 sowie 11. August 2015 – 19 Sa 819/15). Anderer Ansicht ist das ArbG Herne (Urteil vom 7. Juli 2015 – 3 Ca 684/15), nach dem Urlaubs- und Weihnachtsgeld angerechnet werden kann, sofern es monatlich ratierlich gezahlt wird und unwiderruflich zugesagt ist.

Welche Besonderheiten gelten unter dem MiLoG?

Der Anteil des Lohns, der dem gesetzlichen Mindestlohn entspricht, wird (bei vereinbarter Fälligkeit) nach Vereinbarung, bei fehlender Vereinbarung mit Erbringung der Arbeitsleistung fällig, jedoch nicht später als am letzten Bankarbeitstag (Frankfurt a.M.) des Monats, der auf den Monat der Arbeitsleistung folgt. Abweichende Regelungen sind unwirksam.

Der Mindestlohn ist unabdingbar (§ 3 MiLoG).

Vor diesem Hintergrund dürfen Verfalls- und Ausschlussfristen den Mindestlohn(anteil) der Vergütung nicht mehr erfassen. Die bisher verwandten “typischen” Ausschlussklauseln in Arbeitsverträgen dürften dem nicht hinreichend Rechnung tragen. Es spricht viel dafür, dass die Rechtsprechung des BAG zu unverzichtbaren Ansprüchen insoweit übertragbar ist und die Klausel im Übrigen aufrechterhalten werden kann.

Hier besteht Anpassungsbedarf: Vorsorglich sollte im Falle von Neuverträgen die Ausschlussklausel entsprechend beschränkt werden. Überstundenabgeltungsklauseln in Verträgen müssen nunmehr so formuliert werden, dass Überstunden mit der Vergütung abgegolten sind. Unzulässig sind Vereinbarungen, nach denen Überstunden nicht gesondert vergütet werden. Auch sind Vereinbarungen, nach denen bestimmte Zeiten nicht vergütet werden (z.B. Bereitschaft, Wartezeiten, Vor- und Nacharbeiten, Rüstzeiten) zukünftig unwirksam.

Ein Verzicht auf den Mindestlohn ist nur durch gerichtlichen Vergleich möglich; eine Verwirkung ist ausgeschlossen.

Der Arbeitnehmer kann daher auf Vergütungsbestandteile bis zur Höhe des Mindestlohnanteils in einem außergerichtlichen Vergleich oder Aufhebungsvertrag nicht mehr wirksam verzichten. Denkbar ist aber ein Tatsachenvergleich (Arbeitnehmer hat nicht gearbeitet, kann daher für einen bestimmten Zeitraum keine Vergütung beanspruchen) zur Risikobeschränkung.

Änderungskündigungen zur Anpassung der Vergütung aufgrund des Mindestlohns werden von der Rechtsprechung äußerst kritisch gesehen.

So sind bereits mehrere Arbeitgeber vor dem LAG Berlin-Brandenburg mit dem Versuch gescheitert, zusätzliche Gehaltsbestandteile zu streichen, um die gestiegene Grundvergütung aufgrund des Mindestlohns zu „kompensieren“ (LAG Berlin-Brandenburg, Urteile vom 11. August 2015 – 19 Sa 819/15, 25. September 2015 – 8 Sa 677/15 sowie 2. Oktober 2015 – 9 Sa 570/15).

Welche Konsequenzen hat eine unwirksame Abrede?

Mindestlohnunterschreitende Abreden sind unwirksam; der Arbeitnehmer hat in diesem Fall Anspruch auf den Mindestlohn. Im Fall sittenwidrig niedriger Vergütung kann auch ein Anspruch auf die branchenübliche Vergütung (§ 612 Abs. 2 BGB) bestehen.

Was gilt für Arbeitszeitkonten?

Arbeitszeitkonten sind auch unter dem MiLoG weiter zulässig, jedoch gelten Einschränkungen. Die Vereinbarung über das Arbeitszeitkonto muss schriftlich erfolgen. Es besteht eine Pflicht zum Abbau des Zeitguthabens innerhalb von zwölf Monaten nach der Erfassung der jeweiligen Zeitstunden durch bezahlte Freizeitgewährung oder Zahlung des Mindestlohns. Eingestellte Arbeitsstunden dürfen monatlich 50 % der vertraglich vereinbarten Arbeitszeit nicht übersteigen. Im Falle einer Beendigung müssen die eingestellten Arbeitsstunden spätestens in dem auf die Beendigung folgenden Monat ausgeglichen werden. Diese Regelungen gelten nicht für Wertguthaben nach dem SGB IV.

Welche Auswirkungen hat der Mindestlohn auf betriebliche Vergütungssysteme?

Der Mindestlohn hat nur Auswirkung auf Vergütungssysteme, soweit die Mitarbeiter auf der untersten Vergütungsstufe bisher unter EUR 8,50 brutto pro Stunde verdienen. Ist ein Vergütungssystem durch klar definierte Gehälter geprägt (z.B. Stufe I: EUR 6,00; Stufe II: EUR 9,00), ist Stufe I wegen Gesetzesverstoßes unwirksam; die betreffenden Mitarbeiter können den Mindestlohn beanspruchen. Eine automatische Anpassung der übrigen Lohngruppen findet nicht statt. Soweit Vergütungssysteme durch prozentuale Stufungen geprägt sind (z.B. Stufe I: 100 %, Stufe II: 120 %) und in Stufe I eine Vergütung unterhalb des Mindestlohns gezahlt wird, ist diese gesetzeswidrig und der Arbeitnehmer hat mindestens Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn. Problematisch an dieser Konstellation ist, dass der Arbeitgeber das Vergütungssystem (z.B. Betriebsvereinbarung) nicht mehr ordnungsgemäß umsetzt. Da eine proportionale Gesamterhöhung einen massiven Eingriff in die Eigentumsrechte des Arbeitgebers darstellen würde, sind solche Fälle über eine Auslegung der Regelung oder die Figur des Wegfalls der Geschäftsgrundlage zu lösen. Vorsorglich empfiehlt es sich für den Arbeitgeber, derartige Betriebsvereinbarungen zu kündigen und mit dem Betriebsrat in Verhandlungen einzutreten.

Was gilt für den Einsatz von Subunternehmern?

Nach dem MiLoG haftet der Auftraggeber verschuldensunabhängig für sämtliche Verstöße seiner Subunternehmer und deren Nachunternehmer gegen das MiLoG. Der Arbeitgeber kann sich daher in erheblicher Weise einer Haftung von Beschäftigten seiner Subunternehmer bzw. deren Nachunternehmer ausgesetzt sehen. Es droht weiterhin eine Geldbuße von bis zu EUR 500.000,- (§ 21 Abs. 2 MiLoG). Wohl ausgenommen von dieser scharfen Haftung sind lediglich Eigenaufträge (z.B. Reinigungsaufträge), da sich insoweit die Rechtsprechung des BAG zum Arbeitnehmerentsendegesetz übertragen lässt. Die Haftungsrisiken lassen sich nur durch sorgfältige Auswahl des Subunternehmers und Vertragsgestaltung begrenzen (Vertragsstrafen, Kündigungsrechte, Freistellungsregelungen, Zusicherungen, Zustimmungsvorbehalte und Ähnliches).

“Due Diligence”-Checkliste

  1. Entspricht der jeweilige Stundenlohn der Mindestlohnregelung, berechnet auf Monatsbasis?
  2. Sind alle Vergütungsbestandteile, die gewährt werden, auch tatsächlich auf den Mindestlohn anrechenbar?
  3. Wann werden Vergütung und Vergütungsbestandteile fällig?
  4. Welche Fristenregelungen enthalten Arbeitszeitkonten?
  5. Ist es erforderlich, vertragliche Klauseln zu Verfallsfristen anzupassen?
  6. Überprüfung der Praxis zu Aufhebungsverträgen und außergerichtlichen Vergleichen
  7. Prüfung von Werk- und Dienstverträgen; sorgfältige Gestaltung von Neuverträgen mit Subunternehmern
  8. Ggf. Neustrukturierung von Gehaltsbestandteilen und Fälligkeitsregelungen (z.B. Provision, Bonus).

Dr. Till Heimann

Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht
Partner
Till Heimann berät Arbeitgeber mit Fokus auf Unter­neh­mens­trans­ak­tio­nen (mit anschlie­ßen­der Integration), Umstruk­tu­rie­run­gen auf Unter­neh­mens- und Betriebsebene und Har­mo­ni­sie­rung von Arbeits­be­din­gun­gen. Besondere Expertise besitzt Till Heimann darüber hinaus hinsichtlich der Beratung zu regulierter Vergütung (Banken/Kapitalanlagegesellschaften u.A. Institute), von Unternehmen der Technologiebranche sowie von Startups. Er besitzt langjährige Erfahrung in der Steuerung inter­na­tio­na­ler Projekte. Er ist Mitglied der Fokusgruppe "ESG".