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Matrix

Arbeitsrechtliche Tücken der Matrixstruktur

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Matrixstrukturen sind in großen Unternehmen und Konzernen weit verbreitet, bieten eine perfekte Grundlage für einen fachgerechten Wissenstransfer und einen ressourcengenauen Einsatz der Mitarbeiter und sind damit auch betriebswirtschaftlich sinnvoll. Im Alltag werfen sie aber auch eine Reihe arbeitsrechtlicher Fragen auf. Die hergebrachten Definitionen des Betriebs und der Weisungsrechte stoßen in der Matrix schnell an ihre Grenzen. Fehlt es an einer frühzeitigen Einbindung der Arbeitsrechtler und Planung der Matrix auch aus arbeitsrechtlicher Sicht, kann dies in der Praxis zu unliebsamen Überraschungen führen.

Die Matrix – ein Mehrliniensystem im Konzern

Von einer Matrix spricht man, wenn die Unternehmensleitungen sowie die Zuordnung von Aufgaben und Funktionen in einem Mehrliniensystem strukturiert werden. Dabei werden die Arbeitsorganisationen länder- und gesellschaftsübergreifend nach zwei Dimensionen gegliedert, typischerweise nach Funktionsbereichen (Produktion, Einkauf, Vertrieb) einerseits und Produktbereichen (Ländermärkte, Produkte, Kunden) andererseits. Im Rahmen moderner Kommunikationsformen und Dienstleistungsunternehmen lösen sich Matrixorganisationen teilweise sogar gänzlich von Betriebsorganisationen im hergebrachten Sinne vor Ort. So können insbesondere Personalressourcen unternehmensübergreifend ideal genutzt werden, ohne dass die Schwierigkeiten einer Entsendung, Versetzung oder Arbeitnehmerüberlassung überwunden werden müssen.


Arbeitsrecht in der Matrix

Während die Matrixstruktur betriebswirtschaftlich als Idealform daherkommt, stellt sie das Arbeitsrecht durchaus vor Herausforderungen. Dies liegt nicht zuletzt daran, dass die Arbeitsleistung eine höchstpersönliche Pflicht darstellt und die Beziehung der Vertragsparteien nicht beliebig auf Dritte übertragbar ist. Arbeitsrechtliche Herausforderungen ergeben sich insofern daraus, dass die Matrix nicht an den Betriebs- und Unternehmensgrenzen halt macht. Da Mitarbeiter nicht nur bei ihrem Vertragsarbeitgeber, d.h. der juristischen Anstellungsgesellschaft beschäftigt werden, sondern innerhalb der Matrixstruktur in unternehmensübergreifenden Teams arbeiten, stellt sich die Frage, ob ihr eigentlicher Vertragsarbeitgeber noch fachliche und disziplinarische Weisungsrechte ausübt, inwiefern zu-mindest die fachlichen Weisungsrechte auf Dritte in der Matrix übertragen werden können und innerhalb welcher Betriebsstruktur der Mitarbeiter eingesetzt wird.

Der Betriebsbegriff

Insbesondere letzte Fragestellung hat im betrieblichen Alltag eine erhebliche Auswirkung: Die das Arbeitsrecht ganz wesentlich prägende Betriebsstruktur entscheidet darüber, in welchen Einheiten Betriebsräte gebildet werden können und in welchem Umfang vor Ausspruch einer Kündigung eine Sozialauswahl vorzunehmen ist. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts stellt ein Betrieb ganz im Sinne des klassischen Produktionsbetriebs die organisatorische Einheit dar, innerhalb derer ein Arbeitgeber allein oder mit seinen Arbeitnehmern mit Hilfe technischer und immaterieller Mittel bestimmte arbeitstechnische Zwecke fortgesetzt verfolgt. Die organisatorische Einheit verlangt insofern nicht nur nach einem einheitlichen Leitungsapparat, sondern auch nach einer arbeitstechnischen Verknüpfung und organisatorischen Einheit. Genau diese Einheiten sind aber in der Matrix nicht mehr eindeutig erkennbar. Insbesondere Formen der Zusammenarbeit, bei denen unter Auflösung von Raum (und Zeit) auf moderne Kommunikationsmittel zurückgegriffen wird, lassen sich mit einem klassischen Betrieb nur schwer in Einklang bringen. Hier findet sich aber zugleich der erste planerische Ansatz: Es stellt sich die Frage, ob die an der Matrix beteiligten Konzernunternehmen in der jeweiligen Matrixzelle eine gemeinsame institutionelle Leitung einrichten (bzw. einrichten wollen), die einer organisatorischen Leitung eines Betriebs entspricht und damit die einzelnen Matrixstruktureinheiten in einen Betrieb i.S.d. Kündigungsrechts oder des Betriebsverfassungsrechts überführen könnte.

Die Weisungsrechte

Insbesondere von Seiten der Gewerkschaft und der Betriebsräte werden Matrixorganisationen häufig unter dem Gesichtspunkt der Weisungsrechte in Frage gestellt. Dabei wird auf § 613 BGB hingewiesen, in dem die Höchstpersönlichkeit der Arbeitsleistung sowie die Nichtübertragbarkeit des Anspruchs auf selbige geregelt sind. Sofern Unternehmen jedoch das disziplinarische Weisungsrecht als Kern des Vertragsverhältnisses nicht auf Dritte übertragen, sondern dieses unverändert durch den Vertragsarbeitgeber ausgeübt wird, sollte sich aus der genannten Vorschrift keine größere Schwierigkeit ergeben. Fachliche Weisungsrechte können im Rahmen von Bevollmächtigungen durchaus auf Dritte übertragen werden. Zudem kann hier vorausschauend geplant und z.B. ein Projekteinsatz der Matrix im Arbeitsvertrag verankert werden.

Das Kündigungsrecht

Diffiziler sind die Diskussionen um den Kündigungsschutz in der Matrix. Dabei ist zunächst zu beachten, dass die klassische Matrixstruktur nicht unmittelbar zu einer Auflösung der hergebrachten Betriebsstrukturen führt, sondern vielmehr über die bekannte Struktur gelegt wird. Die Matrixeinheit ist daher nicht zwingend mit dem Betrieb i.S.d. Kündigungsschutzgesetzes gleichzusetzen. Etwas anders ist aber z.B. dann anzunehmen, wenn Unternehmen abgestimmt in einer solchen Form zusammenarbeiten, dass ein Gemeinschaftsbetrieb begründet wird. Eine weitere Facette ist zu beachten, wenn die Matrix international implementiert wird. Denn das Bundesarbeitsgericht geht in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass das Kündigungsschutzgesetz auf in Deutschland gelegene Betriebe Anwendung findet und nicht auf internationale Strukturen übertragbar ist. Die internationale Matrixorganisation führt daher nicht zu einer internationalen Ausdehnung des Kündigungsschutzes. Gleichwohl ist sorgsam zu beachten, mit welchen Inhalten Weisungsrechte in der Matrix ausgeübt werden.

Das Betriebsverfassungsrecht

Stärker noch als das Kündigungsrecht ist das Betriebsverfassungsrecht auf die klassische Organisationseinheit eines Betriebs ausgerichtet. Sofern diese klassischen Strukturen durch Matrixeinheiten überlagert werden, in denen die eigentlichen Arbeitsabläufe durch Vorgesetzte in der Matrix gesteuert werden, kann es zu unliebsamen Abstimmungsschwierigkeiten kommen. Zudem stellt sich bei international in der Matrix angestoßenen Prozessen, die mitbestimmungsrelevant sind, häufig die Frage, wer auf Betriebsratsseite eigentlich der richtige Ansprechpartner ist. Aus diesem Grund sollte die Ausgestaltung der Matrixstrukturen auch unter dem Aspekt des Nutzens betriebsverfassungsrechtlicher Kollektivregelungen geprüft werden. So kann es sinnvoll sein, neben der Matrixeinheit eine tatsächliche Einbindung in eine lokale Betriebsstruktur aufrecht zu erhalten.
Zudem ist zu prüfen, welche Mitbestimmungsthemen auf die Ebene eines Gesamt- oder Konzernbetriebsrats gezogen werden können, um einheitliche Arbeitsbedingungen – in der Matrix – umsetzen zu können. Dies kann z.B. für abgestimmte Arbeitszeiten in der Matrixeinheit relevant sein. Noch ist die Rechtsprechung sehr zurückhaltend, was die Anerkennung gebotener einheitlicher Regelungen angeht. Die nächsten Jahre werden zeigen, welchen Einfluss eine Matrixorganisation auf die Zuständigkeitsrechtsprechung haben wird.

Datenschutz

Welche Folgen ein fehlender Verhandlungspartner haben kann, ist insbesondere im Datenschutz spürbar, wo eine Konzernbetriebsvereinbarung Eingriffsgrundlage für einen Datentransfer im Konzern sein kann. Denn in der Matrix sind zwangsläufig die Herausforderungen des Beschäftigtendatenschutzes. Eine unternehmensübergreifende Zusammenarbeit in der Matrix setzt voraus, dass personenbezogene Daten über die Grenze des Vertragsarbeitgebers hinweg ausgetauscht und eingesetzt werden können. Da das Bundesdatenschutzgesetz nach wie vor kein Konzernprivileg vorsieht, bedarf jede dieser Datennutzung durch Dritte, nämlich durch die Nichtanstellungsgesellschaften, einer datenschutzrechtlichen Rechtfertigung.

Fazit

Da die Matrixstruktur unzweifelhaft viele Vorteile in der Zusammenarbeit bietet, sollten arbeitsrechtliche Hürden dieser Form der Zusammenarbeit nicht entgegenstehen. Dies ist nach Vorgesagtem durchaus zu meistern. Dabei gilt es, schon im Vorfeld einer geplanten Matrixeinführung die arbeitsrechtlichen Stellhebel zu beachten und – soweit möglich – Organisationsstrukturen sinnvoll zuzuschneiden.

Zusammenfassung:

  • Matrixstrukturen sind nicht zwangsläufig deckungsgleich mit den kündigungs- und betriebsverfassungsrechtlichen Betriebsstrukturen.
  • Die Implementierung der Matrix sollte auch arbeitsrechtlich sorgsam geplant und bewusst gestaltet werden.
  • Arbeitsrechtliche Weisungsrechte stehen einem Matrixeinsatz nicht entgegen.
  • Sollen neben der Matrix hergebrachte Betriebsstrukturen aufrechterhalten bleiben, sind die Formen der Zusammenarbeit in der Matrix, dort angelegte Vorgesetztenfunktionen und Weisungsrechte entsprechend zu begrenzt zu gestalten.
  • Die Matrix kann im Einzelfall mitbestimmungsrechtlich eine Zuständigkeit des Gesamt- oder Konzernbetriebsrats begründen.
  • Die Zusammenarbeit in der Matrix bedarf einer datenschutzrechtlichen Rechtfertigung, da personenbezogene Daten unternehmensübergreifend genutzt werden.

Prof. Dr. Barbara Reinhard

Rechtsanwältin
Fachanwältin für Arbeitsrecht
Partner
Barbara Reinhard berät Unter­neh­men ins­be­son­dere in kol­lek­tiv­recht­li­chen Ange­le­gen­hei­ten wie etwa Restruk­tu­rie­run­gen, Sanie­rungs­ta­rif­ver­trä­gen, alternativen Mit­be­stim­mungs­struk­tu­ren sowie betrieb­li­chen Mit­be­stim­mungsthemen zu Arbeitsschutz-, Arbeits­zeit- und Ver­gü­tungs­mo­del­len. Sie ist darüber hinaus renommierte Expertin im Arbeit­neh­mer-Daten­schutz­recht sowie in Fra­ge­stel­lun­gen zur arbeits­recht­li­chen Com­p­li­ance und Betrieb­li­chen Alters­ver­sor­gung. Zudem unterstützt sie Organ­mit­glie­der in Trennungs- und Anstellungsprozessen. Barbara Reinhard ist Autorin zahlreicher Fachbeiträge und hält regelmäßig Vorträge. Sie ist Mitglied der Fokusgruppe "Private Equity / M&A".