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Betriebsrat Betriebsverfassung

„Timmendorfer Strand“ – auch für Ersatzmitglieder?

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Ersatzmitglieder

Die Schulung von Betriebsratsmitgliedern ist zeitintensiv und kostspielig. Es besteht daher häufig Streit zwischen den Betriebsparteien, ob eine Schulung tatsächlich erforderlich ist. Die hierzu regelmäßig angerufenen Arbeitsgerichte entscheiden tendenziell großzügig zu Gunsten der Betriebsräte. Deutlich restriktiver entscheiden sie jedoch im Hinblick auf die Erforderlichkeit der Schulung von Ersatzmitgliedern. Eine solche darf der Betriebsrat nur unter besonderen Umständen für erforderlich halten. Eine jüngere Entscheidung des LAG Schleswig-Holstein konkretisiert die Maßstäbe an die Erforderlichkeit (Beschluss vom 26. April 2016 – 1 TaBV 63/15) – aber kann sie im Übrigen überzeugen?

Sachverhalt

Im vorliegenden Fall hatte der Betriebsrat beschlossen, das Ersatzmitglied K. kurz nach dessen Wahl zu einem dreitägigen Grundlagenseminar im Betriebsverfassungsrecht (§ 37 Abs. 6 BetrVG) zu entsenden. Der aus drei Listen hervorgegangene, fünfzehnköpfige Betriebsrat begehrte nunmehr die Freistellung von den Kostenansprüchen gegenüber der Arbeitgeberin. Von der Liste, von der K. als drittes Ersatzmitglied gewählt worden war, waren zehn Personen ordentliche Mitglieder im Betriebsrat. Diese wurden im Verhinderungsfall durch die Ersatzmitglieder derselben Liste vertreten. Im Vergleich zur vorhergehenden Wahlperiode hatten sich die Kräfteverhältnisse im Betriebsrat kaum verändert: Vorgänger von K. war das Ersatzmitglied P., der in den letzten beiden Jahren der vorangegangenen Wahlperiode  im Durchschnitt zu 45% der Betriebsratssitzungen eingeladen wurde.

Entscheidung

Das LAG Schleswig-Holstein erkannte in seinem Beschluss vom 26. April 2016 an, dass besonderen Umstände die Erforderlichkeit einer Schulung dann stützen können, wenn das Ersatzmitglied voraussichtlich zu mehr als 40% der Sitzungen des Betriebsrats herangezogen werden würde. Das Gericht stellte den Betriebsrat von den Kosten frei und hielt die durch die Seminarteilnahme von K. entstandenen Kosten für erforderlich (§ 40 Abs. 1 BetrVG).


Anders als bei ordentlichen Betriebsratsmitgliedern bedarf es bei Ersatzmitgliedern besonderer Umstände für die Erforderlichkeit einer solchen Seminarveranstaltung. Entscheidend sei insoweit nach Ansicht des LAG, ob der Betriebsrat seine Arbeitsfähigkeit nicht durch andere ihm zumutbare und den Arbeitgeber finanziell weniger belastende Maßnahmen gewährleisten kann. Zu denken sei hier an Informationen und Erläuterungen, die dem Ersatzmitglied bereits mit der Ladung und Übersendung der Tagesordnung durch Betriebsratsmitglieder zur Verfügung gestellt werden. Auch eine größere Flexibilität bei der Anberaumung von Betriebsratssitzungen könne dazu beitragen, die Arbeitsfähigkeit des Betriebsrats sicherzustellen. Allerdings sei eine Grenze erreicht, wenn die nicht zu vermeidende Heranziehung von Ersatzmitgliedern derartige Schwierigkeiten und Reibungsverluste für die Arbeit des Betriebsrats auslöst, dass der Betriebsrat ausnahmsweise die Schulung von Ersatzmitgliedern für erforderlich halten dürfe. Entscheidend sei dabei die zu erwartende Dauer und Häufigkeit der Heranziehung des Ersatzmitglieds zu den Betriebsratssitzungen. Der Betriebsrat habe insoweit eine auf Tatsachen begründete Prognose anzustellen, wobei der Vergangenheit eine gewisse Indizwirkung zukomme.

Nach diesen Grundsätzen hielt das LAG Schleswig-Holstein die Seminarteilnahme für erforderlich. Das frühere Ersatzmitglied P. habe in den letzten zwei Jahren im Durchschnitt an 45% der Sitzungen entweder teilgenommen oder sei zumindest geladen, aber dann verhindert gewesen. In der neuen Wahlperiode sei die Liste sogar durch ein ordentliches Mitglied mehr im Betriebsrat vertreten. Ferner habe die Arbeitgeberin gerade mehr als dreißig Betriebsvereinbarungen gekündigt, so dass insoweit auch ein Tätigkeitsbedarf zu erwarten sei. Der Betriebsrat tagte ohnehin mehr als einmal pro Woche. Daher habe die begründete Prognose bestanden, dass das Ersatzmitglied K. in ähnlichem oder weiterem Maße zu den ordentlichen Betriebsratssitzungen herangezogen werde. Alternative oder die Arbeitgeberin weniger finanziell belastende Möglichkeiten als die Seminarteilnahme des Ersatzmitglieds seien nicht in Frage gekommen.

Bewertung

Wo tatsächlich ein umfangreicher Vertretungsbedarf besteht, ist die Entscheidung durchaus nachvollziehbar. Das LAG Schleswig-Holstein wendet die vom BAG (Beschluss vom 19. September 2001 – 7 ABR 32/00) entwickelten Grundsätze an. Hiernach kommt es auf die zu erwartende Zahl der Vertretungsfälle, aber auch weitere Umstände, wie insbesondere die Betriebsratsgröße, die Anzahl der im Betriebsrat vertretenen Gruppen und Listen, das Vorhandensein von Betriebsferien oder der langfristige Ausfall bestimmter Betriebsratsmitglieder an. Mit wachsender Betriebsratsgröße werde die Wahrscheinlichkeit an Vertretungsfällen regelmäßig zunehmen.

Bemerkenswert ist jedoch, dass der Betriebsrat nach Auffassung des LAG trotz Bestreitens nicht vortragen musste, dass der Einsatz des Ersatzmitglieds P. tatsächlich durch Vertretungsfälle i.S.d. § 25 BetrVG bedingt war. Dies sei zum Zeitpunkt des Betriebsratsbeschlusses „nicht mehr nachprüfbar“ gewesen. Der Betriebsrat habe sich insofern auf die ordnungsgemäße Amtsführung des früheren Betriebsratsvorsitzenden verlassen dürfen. Der Betriebsrat habe ferner auch nicht vortragen müssen, welche Umstände tatsächlich bei der vorzunehmenden Abwägung für die Beschlussfassung des Betriebsrats ausschlaggebend waren. Hier komme es nur darauf an, welche Entscheidung ein objektiver Dritter zum Zeitpunkt des Beschlusses getroffen hätte.

Bei Arbeitgebern dürfte diese äußerst geringe Anforderung an die Darlegungslast zu Recht Unbehagen auslösen. Der Arbeitgeber kann das „Innenleben eines Gremiums“ ohnehin kaum durchblicken. Würde ihm auch noch die Möglichkeit genommen, prozessual die Evidenz von Vertretungsfällen zu bestreiten, wäre dem Missbrauch von Schulungsveranstaltungen Tür und Tor geöffnet – ohnehin ein Feld, welches durchaus kritisch zu betrachten ist.

Kommt es zu häufigen oder auffälligen Vertretungsfällen, ist es ohnehin empfehlenswert, im Einzelfall zu prüfen, ob die Teilnahme eines Ersatzmitglieds und die damit verbundene Freistellung erforderlich waren. Nicht selten nutzen Betriebsräte gerade bei anstehenden Umstrukturierungen „Vertretungsfälle“ dazu, Ersatzmitglieder vom besonderen Kündigungsschutz des § 15 KSchG profitieren zu lassen. Die wenigen Mittel, die der Arbeitgeber im Hinblick auf die Überprüfung der Betriebsratsarbeit zur Verfügung hat, sollte er konsequent nutzen, um Missbrauch vorzubeugen.

Mit den Kosten der Betriebsratsarbeit allgemein beschäftigt sich Koch, bereits veröffentlicht auf diesem Blog.

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