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Freistellung Umstrukturierung

„Garden Leave“ – Chancen und Risiken

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Garden Leave

Immer häufiger begegnet man dem Begriff der „Garden Leave“. Seinen Ursprung hat dieser blumige Ausdruck im britischen Recht. Er bezeichnet dort schlicht die Freistellung des Arbeitnehmers im gekündigten Arbeitsverhältnis bis zum Ablauf seiner Kündigungsfrist. Dabei liegt die Freistellung häufig im Interesse des Arbeitgebers: Sie dient dazu, den Mitarbeiter möglichst schnell von Kunden und dem Zugang zu sensiblen Geschäftsdaten abzuschneiden, die der Mitarbeiter bei einem Wechsel zur Konkurrenz nutzen könnte. Hierzulande wird mit „Garden Leave“ neuerdings vor allem ein Freistellungsmodell bezeichnet, das im Rahmen größerer Restrukturierungsmaßnahmen zur Anwendung kommt und von besonderem Interesse für rentennahe Mitarbeiter ist.

„Garden Leave“ im Rahmen von Restrukturierungen

Immer häufiger sehen Sozialpläne die Option einer sog. „Garden Leave“ vor. Dabei wird rentennahen Mitarbeitern die Möglichkeit eingeräumt, ganz oder teilweise auf die ihnen zustehende Sozialplanabfindung zu verzichten und sich hierdurch eine Verlängerung des Arbeitsverhältnisses über die eigentliche Kündigungsfrist hinaus zu „erkaufen“.

Für die Dauer der Verlängerung des Arbeitsverhältnisses werden die Mitarbeiter einvernehmlich unwiderruflich unter Fortzahlung ihrer bisherigen Vergütung freigestellt. Sie finanzieren damit durch Einbringung von Teilen der Abfindung letztlich die Verlängerung ihres Arbeitsverhältnisses selbst.

Rentennahen Mitarbeitern, denen aufgrund ihres Alters und ihrer in der Regel langen Betriebszugehörigkeit eine verhältnismäßig hohe Sozialplanabfindung zusteht, kann durch die Freistellung eine Brücke in die Altersrente geboten werden. „Garden Leave“ ermöglicht es ihnen im Einzelfall, entweder nahtlos im Anschluss an das (verlängerte) Arbeitsverhältnis oder nach einem sich daran anschließenden Bezug von Arbeitslosengeld I (ALG I) eine (ungekürzte) Altersrente in Anspruch zu nehmen und so Lücken in der Versorgungsbiografie zu vermeiden.

In der praktisch wohl häufigeren Konstellation, dass der Renteneintritt erst im Anschluss an den Bezug von ALG I erfolgt, kann „Garden Leave“ insbesondere dann von Vorteil sein, wenn das Arbeitsverhältnis aufgrund der Verlängerung über das 58. Lebensjahr des Mitarbeiters hinaus fortbesteht. Denn in diesem Fall verlängert sich die Bezugsdauer des ALG I in der Regel auf 24 Monate, sodass eine noch längere Zeitspanne zwischen Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis und Rentenbeginn überbrückt werden kann.

Führt die Verlängerung des Arbeitsverhältnisses zu einer mehr als zweijährigen Freistellungsdauer, können sich allerdings für die betroffenen Mitarbeiter aus der Inanspruchnahme von „Garden Leave“ im Einzelfall auch Nachteile beim anschließenden Bezug des ALG I ergeben. Dies kann zu unangenehmen Überraschungen führen.


Einbußen beim ALG I-Bezug

Einbußen beim Bezug des ALG I können in diesen Fällen daraus resultieren, dass die zuständige Agentur für Arbeit bei der Berechnung nicht die während der Freistellung erhaltene Vergütung berücksichtigt, sondern stattdessen ein (in der Regel deutlich geringeres) fiktives Entgelt zugrunde legt. Dabei ist die Handhabung der Agenturen für Arbeit regional unterschiedlich.

Die sozialrechtlichen Beschäftigungsverhältnisse

Das Kernproblem ergibt sich in der Konstellation des Garden Leave daraus, dass das Sozialrecht zwei verschiedene Begriffe des Beschäftigungsverhältnisses kennt, die beide in der für die Berechnung des ALG I-Anspruchs maßgeblichen Regelung des § 150 Abs. 1 SGB III von Bedeutung sind: Das versicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnis sowie das leistungsrechtliche Beschäftigungsverhältnis.

Ein versicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis liegt nach Auffassung des Bundessozialgerichts grundsätzlich auch in Zeiten einer einvernehmlichen und unwiderruflichen Freistellung bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses vor. Demgegenüber setzt das leistungsrechtliche Beschäftigungsverhältnis stets voraus, dass der Arbeitnehmer tatsächlich eine Arbeitsleistung erbringt. Es endet daher trotz eines rechtlich noch bestehenden Arbeitsverhältnisses mit Beginn einer unwiderruflichen Freistellung.

Auswirkung der Freistellung auf die Berechnung des ALG I-Anspruchs

Für die Berechnung des ALG I wird nur die Vergütung aus solchen Entgeltabrechnungszeiträumen berücksichtigt, die zum Zeitpunkt des Ausscheidens aus dem leistungsrechtlichen Beschäftigungsverhältnis abgerechnet waren. Diese Abrechnungszeiträume bilden den sogenannten Bemessungszeitraum. Sie müssen zudem innerhalb des sogenannten Bemessungsrahmens liegen, um der ALG I-Berechnung zugrunde gelegt werden zu können (vgl. §§ 149, 150 Abs. 1 SGB III).

Der Bemessungsrahmen wiederum beträgt maximal zwei Jahre und wird zurückgerechnet ab dem letzten Tag der letzten versicherungspflichtigen Beschäftigung vor der Entstehung des ALG I-Anspruchs.

Bei einer mehr als zweijährigen Freistellung kann sich die besondere Konstellation ergeben, dass sich der Bemessungszeitraum und der Bemessungsrahmen nicht überschneiden: Berücksichtigungsfähig wäre grundsätzlich nur die Vergütung für solche Zeiträume, die bis zum Beginn der Freistellung, also bis zum Ende des leistungsrechtlichen Beschäftigungsverhältnisses bereits abgerechnet sind.

Werden die Voraussetzungen für die Entstehung des ALG I-Anspruchs (erfüllte Anwartschaftszeit, Arbeitslosigkeit und insbesondere die Arbeitslosmeldung) erst nach dem Ende der Freistellung und damit nach dem Ende des versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses erfüllt, liegen innerhalb des maßgeblichen zweijährigen Bemessungsrahmens keine berücksichtigungsfähigen Entgeltabrechnungszeiträume.

Lässt sich jedoch innerhalb eines zweijährigen Bemessungsrahmens kein Bemessungszeitraum von mindestens 150 Tagen mit Anspruch auf Arbeitsentgelt feststellen, wird der Berechnung ein fiktives Arbeitsentgelt zugrunde gelegt (vgl. § 152 Abs. 1 SGB III), das (in der Regel) deutlich geringer bemessen ist, als die tatsächlich während einer Freistellung bezogene Vergütung.

Abwägung von Chancen und Risiken

Bevor sich ein Arbeitnehmer für „Garden Leave“ entscheidet und die Dauer festelegt, sollte er sich frühzeitig bei der für ihn zuständigen Agentur für Arbeit über die regionale Handhabung und mögliche Auswirkungen des Freistellungsmodells auf seinen ALG I-Anspruch informieren. Wer sicher gehen will, sollte sich rechtlich beraten lassen, um die für ihn in der speziellen Konstellation „günstigste“ Dauer der Garden Leave zu ermitteln.

Arbeitgeber sind im Rahmen der Umsetzung entsprechender Sozialplanregelungen gut beraten, diese Problematik im Blick zu behalten. Um eine etwaige Haftung wegen fehlerhafter Aufklärung über sozialrechtliche Folgen der vereinbarten Freistellung zu vermeiden, sollte der Arbeitgeber seine Mitarbeiter darauf hinweisen, dass sie etwaige aus der Inanspruchnahme der „Garden Leave“ resultierende sozialversicherungsrechtlichen Nachteile zu tragen haben.

Ggf. können sie für weitere Informationen an die zuständige Agentur für Arbeit verwiesen werden.

Prof. Dr. Michael Kliemt 

Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht
Partner
Michael Kliemt gehört ausweislich der einschlägigen Ranking-Handbücher und Wirtschaftsmagazine zu den führenden Arbeitsrechtlern in Deutschland. Er berät internationale und nationale Unternehmen zu allen Facetten des Arbeitsrechts. Er verfügt über einen immensen Erfahrungsschatz bei der Beratung von Restrukturierungen, Transformations-, Outsourcing- und Integrationsprojekten, der Flexibilisierung, Vereinheitlichung und Optimierung von Arbeitsbedingungen (v.a. Arbeitszeit, Vergütung) sowie der Implementierung von IT-Systemen. Dabei übernimmt er sowohl die strategische Konzeptionierung, als auch die Verhandlungen mit Gewerkschaften und Betriebsräten zu Tarifverträgen (v.a. Haustarifverträge, OT-Mitgliedschaft, Tarifwechsel), Interessenausgleich, Sozialplan, Transfervereinbarungen und Betriebsvereinbarungen ebenso wie die Umsetzung der Maßnahmen und die Führung von Einigungsstellenverfahren. Daneben begleitet er regelmäßig komplexe Compliance- und Whistleblower-Fälle. Ein weiterer Schwerpunkt von Michael Kliemt liegt in der Beratung von Vorständen, Geschäftsführern und Aufsichtsräten beim Abschluss, der Verlängerung und der Beendigung von Dienstverträgen einschließlich sämtlicher Fragen der Organhaftung (z.B. Führung und Abwehr von Schadensersatzprozessen wegen Organhaftung). Er fungierte bereits bei einer Vielzahl bedeutender Schiedsgerichtsverfahren als Schiedsrichter. Das JUVE-Handbuch zählt Michael Kliemt seit vielen Jahren zu den „Führenden Namen in der Führungskräfteberatung“.
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