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AGB Arbeitszeit

Kein Entkommen vor dem AGB-Regime!

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Individualabrede

Nicht nur bei mehrfacher, auch bei einmaliger Verwendung eines vom Arbeitgeber entworfenen Vertragswerks (also im Ergebnis bei fast allen Arbeitsverträgen) handelt es sich jedenfalls partiell um Allgemeine Geschäftsbedingungen (AGB). Das BAG, Urteil v. 24.08.2016 – 5 AZR 129/16, hat entschieden, dass auch der sog. „Vorrang der Individualabrede“ auf solche Verträge anwendbar ist. Mündliche und stillschweigend geschlossene Abreden setzen sich gegenüber dem schriftlich niedergelegten Vertragsinhalt auch bei nur einmaliger Verwendung durch – selbst wenn durch eine (doppelte) Schriftformklausel ein vermeintlicher Schutz besteht.

Arbeitsvertrag, mündliche Abrede oder doch gesetzliche Regelung?

In der Entscheidung stritten die Parteien um Mehrarbeitsvergütung – mit für diese wohl überraschendem Ergebnis. Die Parteien hatten im Arbeitsvertrag festgelegt, dass die Arbeitnehmerin 40 Stunden wöchentlich arbeiten sollte. Bereits vor Unterzeichnung vereinbarten die Parteien jedoch konkludent eine wöchentliche Arbeitszeit in Höhe von 52,5 Stunden.

Nach Auffassung des BAG kam es gar nicht darauf an, ob die Vertragsbedingungen einmalig verwendet wurden, denn der Vorrang der Individualabrede im Sinne von § 305b BGB soll trotz des fehlenden Verweises in § 310 Abs. 3 Nr. 2 BGB –auch auf diese Verträge stets Anwendung finden. Deshalb setzte sich die mündliche Vereinbarung gegenüber der schriftlichen Vereinbarung durch. Man fragt zurecht: Eine Vereinbarung über 52,5 Stunden wöchentlich, das geht?

Die Antwort lautet: Nein! Diese Vereinbarung verstößt gegen § 3 ArbZG und hatte gemäß § 134 BGB die Teilnichtigkeit der Arbeitszeitvereinbarung, also der Individualabrede, zur Folge. Sie ist aber noch insoweit wirksam, wie eine maximal zulässige Arbeitsleistung von 48 Stunden vorgesehen ist. Das kurios anmutende Ergebnis lautete daher: Weder die im Arbeitsvertrag vereinbarte Arbeitszeit von 40 Stunden noch die vorrangig zu berücksichtigende individuell vereinbarte Arbeitszeit von 52,5 Stunden galt, sondern die maximal gesetzlich zulässige Arbeitszeit von 48 Stunden.


Was ist eine Individualabrede?

Eine Individualabrede nach § 305b BGB liegt vor, wenn eine Vertragsklausel von beiden Parteien im Einzelnen ausgehandelt wurde. Einseitig vom Arbeitgeber stammende Zusätze fallen demnach nicht unter den Begriff. Individualabreden können vor, bei oder auch nach Vertragsschluss getroffen werden. Es kommt nicht darauf an, ob die Parteien eine Änderung der AGB beabsichtigten oder sich einer Kollision mit den AGB bewusst waren.

AGB bei Mehrfachverwendung ohnehin anwendbar

Dass der Arbeitnehmer Verbraucher und der Arbeitgeber Unternehmer ist und damit die AGB-Regelungen auf die Arbeitsvertragsparteien anwendbar sind, hat das BAG bereits im Jahr 2005 entschieden (Urteil v. 25.05.2005 – 5 AZR 572/04). Über § 310 Abs. 4 S. 2 BGB wird explizit das Arbeitsrecht berücksichtigt: Bei der Anwendung auf Arbeitsverträge sollen die im Arbeitsrecht geltenden Besonderheiten angemessen berücksichtigt werden. Klauseln, die außerhalb des Arbeitsrechts zu einer unangemessenen Benachteiligung führen können, können bei Beleuchtung der arbeitsrechtlichen Besonderheiten danach angemessen sein.

Während die AGB-Vorschriften in § 305 Abs. 1 S. 1 BGB eine Vielzahl von Verträgen voraussetzen, folgt davon abweichend aus § 310 Abs. 3 Nr. 2 BGB, dass auch bei einmaliger Verwendung von Vertragsklauseln die §§ 305c Abs. 2 und die §§ 306 bis 309 BGB anwendbar sind. § 305b BGB, der sogenannte Vorrang der Individualabrede, werden genauso wie § 305 Abs. 2 BGB, die Einbeziehungskontrolle, und § 305c Abs. 1 BGB für überraschende und mehrdeutige Klauseln in dieser Aufzählung nicht genannt. Der Ansicht, dass diese nicht genannten Normen deshalb keine Anwendung finden, ist das BAG entgegengetreten: § 305 BGB soll – trotz des fehlenden Verweises – auf einmalige Verträge anwendbar sein.

Konsequenz für (doppelte) Schriftformklauseln

Unabhängig vom (Nicht)Bestehen von AGB sind in Arbeitsverträgen häufig einfache Schriftformklauseln enthalten, die etwa lauten: Änderungen und Ergänzungen dieses Vertrags bedürfen der Schriftform.“ Wird von der Vertragsregelung abweichend eine mündliche Vereinbarung getroffen, handelt es sich automatisch um eine schlüssige und formlose Aufhebung der einfachen Schriftformklausel. Eine solche Klausel formuliert lediglich den Wunsch, dass abweichende Abreden schriftlich geschlossen werden sollen.

Deshalb werden häufig doppelte Schriftformklauseln in Verträge aufgenommen; und hier zeigt sich auch die unmittelbare Relevanz der vorliegenden Entscheidung: Eine doppelte Schriftformklausel ist nämlich unwirksam, wenn sie (wie häufig) so formuliert ist: „Änderungen und Ergänzungen dieses Vertrags bedürfen der Schriftform. Dies gilt auch für die Aufhebung dieser Schriftformklausel.“ Diese Klausel enthält nicht den Vorbehalt, dass eine Abweichung durch Individualvereinbarungen möglich sein soll. Die Klausel stellt eine unangemessene Benachteiligung gemäß § 307 Abs. 1 S. 1 BGB dar, denn bei dem Verbraucher wird irreführend der Eindruck erweckt, dass eine nach Vertragsabschluss getroffene mündliche Abrede unwirksam sei (BAG, Urteil v. 20.05.2008 – 9 AZR 382/07). Diese Rechtsprechung gilt nun auch für einmalig verwendete Verträge.

Und welcher Sinn verbleibt den Schriftformklauseln überhaupt?

Vor diesem Hintergrund verbleibt der einzige Sinn einer wirksam formulierten doppelten Schriftformklausel, dass das Entstehen einer betrieblichen Übung verhindert wird. Durch das einseitige Verhalten des Arbeitgebers kann zugunsten einer Vielzahl von Arbeitnehmern eine betriebliche Übung entstehen und damit keine individuell ausgehandelte Verpflichtung (BAG, Urteil v. 20.05.2008, aaO), weshalb der Vorrang der Individualabrede für betriebliche Übungen keine Bedeutung hat. Ob die Rechtsprechung Bestand haben wird, wonach der Arbeitgeber für alle denkbaren künftigen Leistungen durch die doppelte Schriftformklausel einen „Generalvorbehalt“ für betriebliche Übungen statuieren kann, bleibt allerdings abzuwarten. Ein Schutz vor mündlichen Absprachen besteht jedenfalls nach der neuen Rechtsprechung auch bei einmalig verwendeten Verträgen nicht mehr.

KLIEMT.Arbeitsrecht




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