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Mitbestimmung

Für Dich immer noch per Sie! – Mitbestimmung kurios

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Mitbestimmung

In der betrieblichen Praxis kommt es immer wieder zu Auseinandersetzungen zwischen dem Arbeitgeber und dem Betriebsrat über Umgangsformen im Betrieb. Häufig geht es hierbei um (vermeintliche) Verletzungen zwingender Mitbestimmungsrechte. Dabei steht insbesondere der Vorwurf eines Verstoßes gegen § 87 BetrVG im Raum. Zur Wahrung der Mitbestimmungsrechte macht der Betriebsrat regelmäßig einen Unterlassungsanspruch gerichtlich geltend; meist im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes. Welche grotesken Blüten eine solche Auseinandersetzung treiben kann, soll nachfolgender der Praxis entnommener Fall illustrieren.

Worum ging es?

Der Arbeitgeber war im vorliegenden Fall ein karitatives Unternehmen. Er erbringt vielfältige Betreuungs- und Unterstützungsleistungen für Menschen mit geistiger oder psychischer Behinderung oder mit Suchterkrankungen. Zudem ist er in den Bereichen der Kinder- und Jugendhilfe tätig. Der Arbeitgeber wies seine Arbeitnehmer an, erwachsene zu betreuende Menschen (im Folgenden „Patienten“) im persönlichen Kontakt künftig zu siezen.

Hiergegen wandte sich der Betriebsrat. Er machte im Wege eines einstweiligen Verfügungsverfahrens einen Unterlassungsanspruch geltend. Zur Begründung stützte er sich auf eine Verletzung seines Mitbestimmungsrechts nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG, da die Anweisung das Ordnungsverhalten der Arbeitnehmer betreffe. Die Anweisung greife in den persönlichen Kontakt zwischen Patienten und Arbeitnehmern ein, ohne persönliche Beziehungen zwischen diesen zu berücksichtigen. Hiervon seien insbesondere Patienten betroffen, die zugleich in einem Arbeitsverhältnis zum Arbeitgeber stünden. Auch führe das Siezen zu besonderen Schwierigkeiten bei Patienten, die mit Arbeitnehmern verwandt seien. Darüber hinaus führe das generelle Siezen zu Schwierigkeiten, wenn sich die Arbeitnehmer in der Freizeit begegneten. Im Übrigen werde durch ein Duzen ein direkterer Kontakt zu den Patienten und damit eine bessere Betreuung gewährleistet.

Dem trat die Arbeitgeberseite entgegen: Die Anweisung betreffe ausschließlich die Art der Ausführung der Arbeitsleistung. Das Verhalten der Arbeitnehmer untereinander und außerhalb des Betriebs zu Patienten sei nicht von der Anweisung erfasst. Sofern der Betriebsrat die Sinnhaftigkeit der Anweisung unter fachlich-therapeutischen Gesichtspunkten anzweifele, sei dies für die Frage der Mitbestimmung rechtlich irrelevant.


Rechtliche Rahmenbedingungen

Gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG hat der Betriebsrat bei Fragen der Ordnung des Betriebs und des Verhaltens der Arbeitnehmer im Betrieb mitzubestimmen. Das Mitbestimmungsrecht bezieht sich ausschließlich auf das Ordnungsverhalten. Dies betrifft die Festlegung verbindlicher Verhaltensregeln für die Arbeitnehmer eines Betriebs zur Sicherung eines ungestörten Arbeitsablaufs und des reibungslosen Zusammenlebens und Zusammenwirkens der Arbeitnehmer im Betrieb. Die Mitbestimmung umfasst hingegen nicht das außerbetriebliche Verhalten und die private Lebensführung der Arbeitnehmer. Zum Ordnungsverhalten zählen unter anderem:

  • Einführung eines Trink- oder Rauchverbots,
  • Vorschriften über Radiohören im Betrieb,
  • Regelungen zur Nutzung von Parkplätzen,
  • Regelungen zur Nutzung von Telefon, Internet oder E-Mails für private Zwecke.

Mitbestimmungsfrei sind hingegen Maßnahmen, die das Arbeitsverhalten betreffen. Hierzu zählen generelle oder einzelfallbezogene arbeitstechnische Anordnungen und die Konkretisierung der Arbeitspflicht hinsichtlich Gegenstand, Ort, Zeit und Reihenfolge sowie Art und Weise der Arbeitsausführung. Dies können zum Beispiel sein:

  • Anordnung über das Führen von Tätigkeitsberichten,
  • Anordnung zum Ausfüllen von Überstundennachweisen,
  • Regelungen über die Art der Kommunikation mit Kunden,
  • Weisungen im Hinblick auf die Gestaltung in Geschäftsbriefen (Angabe von Vor- und Nachname).

Die Abgrenzung zwischen einem mitbestimmungspflichtigen Ordnungsverhalten und einem mitbestimmungsfreien Arbeitsverhalten beurteilt sich danach, ob sich die Anweisung unmittelbar auf die Erbringung der Hauptleistungspflicht auswirkt oder lediglich Nebenpflichten betrifft, bei deren Ausgestaltung es um das betriebliche Zusammenleben geht. Entscheidend ist insofern der objektive Regelungszweck. Dieser ist auch dann maßgebend, wenn die Maßnahme sich zugleich auf das Ordnungs- und Arbeitsverhalten auswirkt. Insoweit ist darauf abzustellen, welcher Regelungszweck überwiegt.

Entscheidung des Arbeitsgerichts

Das Arbeitsgericht wies den Unterlassungsantrag zurück. Das Arbeitsgericht stellte ausdrücklich klar, dass die Anweisung die sachliche und persönliche Arbeitsleistung im Umgang mit den Patienten betrifft und gerade dieser Umgang zu den elementaren Arbeitsleistungen der Arbeitnehmer gehört.

Sofern möglicherweise von der Anweisung Patienten betroffen sind, die zugleich in einem Arbeitsverhältnis zum Arbeitgeber stehen und somit eine Doppelrolle innehaben, betreffe dies nicht den Schwerpunkt der Anweisung. Die Anweisung ziele vielmehr schwerpunktmäßig auf Patienten ab, die nicht in einem Arbeitsverhältnis stehen.

Eine fachliche Beurteilung des Zwecks der Anweisung zum Siezen nahm das Arbeitsgericht ausdrücklich nicht vor. Eine solche Beurteilung würde in unzulässiger Weise in den Gestaltungsspielraum der unternehmerischen Entscheidung des Arbeitgebers eingreifen.

Mit der Eilbedürftigkeit des Antrages musste sich das Gericht daher gar nicht auseinandersetzen.

Und die Moral von der Geschicht

Die Zurückweisung des Antrags und ihre Begründung stellen keine Überraschung dar. Fraglich ist jedoch, ob der Arbeitgeber zumindest die Übernahme der Kosten abwehren kann. Denn die vorauszusehende Erfolgslosigkeit des Antrags steht in keinem Verhältnis zum Zeit- und Kostenaufwand.

Die Verweigerung der Kostentragung ist ein möglicher Hebel, mit dem sich Arbeitgeber gegen offensichtlich aussichtslose Verfahren von Betriebsräten wehren können.

Grundsätzlich muss der Arbeitgeber die Kosten eines gerichtlichen Verfahrens tragen, das der Verfolgung oder Verteidigung der Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats dient. Ausnahmsweise ist jedoch die Übernahme der Kosten nicht erforderlich, wenn die Rechtsverfolgung oder Verteidigung von vornherein offensichtlich aussichtslos oder mutwillig ist.

Offensichtlich aussichtslos ist die Rechtsverfolgung, wenn die Rechtslage unzweifelhaft ist und ein eingeleitetes Beschlussverfahren zu einem Unterliegen des Betriebsrats führen muss. Mutwilligkeit kann vorliegen, wenn das Interesse des Arbeitsgebers an der Begrenzung der Kostentragungspflicht missachtet wird.

Betriebsräte sollten daher vermeintliche Mitbestimmungsrechte nicht allzu großzügig annehmen. Ist die Kostenübernahme durch den Arbeitgeber nicht begründet, haften die Mitglieder des Betriebsratsgremiums nach der Rechtsprechung selbst; es besteht zumindest eine Haftung derjenigen Betriebsratsmitglieder, die als Vertreter des Gremiums den Anwalt beauftragt haben, wenn ein wirksamer Vertrag zwischen Anwalt und Betriebsrat nicht zustande gekommen ist (BGH, Urteil vom 25.10.2012 – III ZR 266/11).

KLIEMT.Arbeitsrecht




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