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Betriebsrat

Ignorieren ist keine Lösung – der EBR kraft Gesetzes

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EBR

Für Unternehmen, deren zentrale Leitung ihren Sitz in Deutschland hat, regelt das Gesetz über Europäische Betriebsräte (Europäische Betriebsräte-Gesetz – EBRG) seit 1996 wann und wie ein Europäischer Betriebsrat (EBR) gegründet werden kann beziehungsweise muss. Das Arbeitsgericht Berlin hat in einem Beschluss vom 15. Juli 2016 klargestellt, dass der Arbeitgeber innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Arbeitnehmer einen Antrag auf Errichtung eines EBR gestellt haben, tätig werden muss. Ansonsten droht ihm die Errichtung eines EBR kraft Gesetzes. Damit bestätigte das Gericht ein obiter dictum des Bundesarbeitsgerichts aus dem Jahr 2004 (29.6.2004 – 1 ABR 32/99).

Grundsätze des Europäischen Betriebsrats kraft Gesetzes

Die Bildung eines EBR kommt gemäß § 2 EBRG für gemeinschaftsweit tätige Unternehmen und Unternehmensgruppen in Betracht, die ihren Sitz in Deutschland haben. Darüber hinaus muss ein Unternehmen mindestens 1.000 Arbeitnehmer in den Mitgliedstaaten der EU und davon jeweils mindestens 150 Arbeitnehmer in mindestens zwei verschiedenen Mitgliedstaaten beschäftigen.

Das EBRG sieht in den §§ 8 ff. die Errichtung eines Besonderen Verhandlungsgremiums auf Antrag von mindestens 100 Arbeitnehmern aus mindestens zwei verschiedenen Mitgliedstaaten vor. Die einzige Aufgabe dieses Gremiums ist der Abschluss einer EBR-Vereinbarung mit dem Arbeitgeber. In dieser Vereinbarung können die Verhandlungspartner frei vereinbaren, wie die Unterrichtung und Anhörung des EBR ausgestaltet werden soll.

Kommt eine Vereinbarung zwischen dem Besonderen Verhandlungsgremium und dem Arbeitgeber innerhalb von drei Jahren nicht zustande oder erklären die Verhandlungspartner das vorzeitige Scheitern der Verhandlungen, so ist ein EBR kraft Gesetzes zu errichten (§ 21 Abs. 1 Satz 2 EBRG). Aufpassen sollten Arbeitgeber allerdings insbesondere auf die Regelung in § 21 Abs. 1 Satz 1 EBRG: Hiernach ist ein EBR kraft Gesetzes auch dann zu bilden, wenn der Arbeitgeber die Aufnahme von Verhandlungen über eine EBR-Vereinbarung innerhalb von sechs Monaten nach Antragstellung verweigert.

Das Arbeitsgericht Berlin hatte am 15. Juli 2016 über die Anwendung genau dieser Regelung zu entscheiden. Während der antragstellende Betriebsrat der Auffassung war, es liege ein Fall der Errichtung eines EBR kraft Gesetzes nach Ablauf der Frist von sechs Monaten vor, berief sich die Arbeitgeberin auf die Dreijahresfrist in § 21 Abs. 1 Satz 2 EBRG. Das Gericht gab dem Betriebsrat Recht.


Entscheidung des Arbeitsgericht Berlin vom 15.7.2016 – 26 BV 4223/16

Der Entscheidung lag folgender Sachverhalt zugrunde: Der für den Gemeinschaftsbetrieb der Arbeitgeberin und eine weitere Konzerngesellschaft gebildete Betriebsrat beantragte am 22. Juli 2015 gemeinsam mit dem Betriebsrat aus Frankreich gegenüber der Arbeitgeberin, einem in Deutschland ansässigen Tochterunternehmen eines internationalen Konzerns, die Errichtung eines Besonderen Verhandlungsgremiums. Zugleich verlangte er Auskunft über die für die Errichtung erforderlichen Informationen, wie zum Beispiel die Anzahl der Arbeitnehmer und die Unternehmensstruktur. Die Arbeitgeberin bestätigte dem Betriebsrat am 26. August 2015 den Eingang des Antrags und kündigte Verhandlungen an.

Nachdem in den folgenden Monaten nichts geschah, wies der Betriebsrat die Arbeitgeberin am 17. Februar 2016 darauf hin, dass nach Ablauf von sechs Monaten ein EBR kraft Gesetzes zu errichten sei. Außerdem bestellte er ein Betriebsratsmitglied als deutsches EBR-Mitglied und forderte die Arbeitgeberin auf, unverzüglich eine konstituierende Sitzung einzuberufen.

Erst in den Monaten März, April und Mai 2016 stellte die Arbeitgeberin dem Betriebsrat diverse Daten mit dem Stand März 2015 zu Verfügung.

Der Betriebsrat wandte sich daraufhin an das Arbeitsgericht Berlin und beantragte, festzustellen, dass ein EBR kraft Gesetzes wirksam errichtet worden sei. Außerdem sollte die Arbeitgeberin verpflichtet werden, unverzüglich die konstituierende Sitzung einzuberufen. Er berief sich auf die Frist des § 21 Abs. 1 Satz 1 EBRG. Diese sechsmonatige Frist sei abgelaufen, ohne dass die Arbeitgeberin Verhandlungen angeboten und die geforderten Auskünfte erteilt habe.

Die Arbeitgeberin hat beantragt, die Anträge zurückzuweisen. Sie vertrat die Ansicht, es sei die Dreijahresfrist des § 21 Abs. 1 Satz 2 EBRG anzuwenden. Sie habe sich zu keiner Zeit geweigert, Verhandlungen aufzunehmen. Nach Eingang des Antrags seien jedoch zahlreiche Umstrukturierungen im Unternehmen erfolgt, die vorrangig hätten bearbeitet werden müssen.

Bei fehlendem Tätigwerden des Arbeitgebers gilt die Frist von sechs Monaten

Das Arbeitsgericht hat den Anträgen des Betriebsrats stattgegeben. Dabei hob es hervor, dass die Errichtung eines EBR kraft Gesetzes ein Auffangtatbestand für den Fall der Kooperationsverweigerung seitens des Arbeitgebers oder der Nichteinigung zwischen dem Arbeitgeber und dem Besonderen Verhandlungsgremium ist.

Schwerpunkt der Entscheidung war die Frage, wann eine Verweigerung der Aufnahme von Verhandlungen seitens des Arbeitgebers vorliegt. Das Gericht führte hierzu aus, dass ein Verweigern zum einen ausdrücklich erfolgen könne. Darüber hinaus könne eine Weigerung auch dann vorliegen, wenn es aufgrund von Verzögerungen seitens des Arbeitgebers innerhalb von sechs Monaten nach Antragstellung nicht zu einer konstituierenden Sitzung des Besonderen Verhandlungsgremiums gekommen sei oder die für die Bildung des Besonderen Verhandlungsgremiums erforderlichen Auskünfte beharrlich verweigert würden. So hatte es auch das Bundesarbeitsgericht in einer Entscheidung vom 29. Juni 2004 (Az.: 1 ABR 32/99) gesehen.

Unter Berücksichtigung dieser Rechtsprechung hat das Arbeitsgericht Berlin das Verhalten der Arbeitgeberin im vorliegenden Fall als Verweigerung im Sinne der Vorschrift angesehen. Die bloße Ankündigung von Vorbereitungsmaßnahmen reiche im Rahmen des § 21 Abs. 1 Satz 1 EBRG jedenfalls dann nicht aus, wenn keine konkreten Maßnahmen folgen und Fortschritte erkennbar werden. Die Arbeitgeberin habe dem Betriebsrat erst nach Ablauf von sechs Monaten überhaupt Auskünfte erteilt und diese seien zudem veraltet gewesen.

Ausdrücklich offen gelassen hat das Arbeitsgericht die Frage, ob eine andere Beurteilung möglich gewesen wäre, wenn die Arbeitgeberin den Betriebsrat innerhalb von sechs Monaten zumindest informiert hätte, dass und aus welchen Gründen sich die Bildung des Besonderen Verhandlungsgremiums verzögert. Auf diese Weise wäre, nach Ansicht des Gerichts, nach außen hin erkennbar geworden, dass die Arbeitgeberin ihre Ankündigung zur Aufnahme von Verhandlungen ernst meint. Auch für den Fall, dass die seinerzeitigen Umstrukturierungen Einfluss auf die zu erteilenden Auskünfte gehabt hätten, hätte eine Information des Betriebsrats nahe gelegen.

Da das Gericht eine Verweigerung von Verhandlungen seitens der Arbeitgeberin annahm, war die sechsmonatige Frist des § 21 Abs. 1 Satz 1 EBRG und nicht die Dreijahresfrist des § 21 Abs. 1 Satz 2 EBRG einschlägig und der EBR kraft Gesetzes errichtet. Zudem wurde die Arbeitgeberin gemäß § 25 Abs. 1 Satz 1 EBRG nach der Benennung der Mitglieder des EBR unverzüglich zur Einberufung der konstituierenden Sitzung verpflichtet.

Praxistipps

Arbeitgeber müssen bei einer Antragstellung zur Bildung eines Besonderen Verhandlungsgremiums innerhalb der Frist von sechs Monaten auf den Antrag reagieren, wenn sie die Bildung eines EBR kraft Gesetzes vermeiden wollen. Diese Reaktion sollte sich auch nicht lediglich in der Ankündigung von Verhandlungen erschöpfen. Ob es ausreicht, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmern innerhalb der Frist mitteilt, dass es zu unvermeidbaren Verzögerungen bei der Bildung des Besonderen Verhandlungsgremiums kommt, hat das Arbeitsgericht offengelassen. Arbeitgeber sollten sich daher nicht darauf verlassen, dass eine solche Information ausreicht, um die Bildung eines EBR kraft Gesetzes nach sechs Monaten zu verhindern.

Dr. Alexander Ulrich 

Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht / Abogado (Madrid)
Partner
Alexander Ulrich besitzt besondere Expertise in der grenz­über­grei­fen­den arbeits­recht­li­chen Beratung inter­na­tio­na­ler Unter­neh­men und Private-Equity-Häuser in Zusam­men­hang mit Umstruk­tu­rie­run­gen, Ver­la­ge­run­gen und Unter­neh­mens­käu­fen. Des Weiteren verfügt er über jahrelange Erfahrung in der Beratung von Vorständen und Geschäfts­füh­rern und besondere Bran­chen­kennt­nisse im Healthcare-Sektor sowie im kirchlichen Arbeitsrecht. Er ist Mitglied der Fokusgruppe "Private Equity / M&A".
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