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Entsendung

Entsendung von Mitarbeitern in ein EU-Land: Sozialversicherung in Deutschland und/oder anderswo?

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Bei Entsendung eines Arbeitnehmers aus Deutschland (oder einem anderen EU-Land) in ein anderes EU-Land sind verschiedene Fragen organisatorischer und rechtlicher Natur zu beantworten. Insbesondere kommt auch die Frage auf, ob der Arbeitnehmer weiter dem Sozialversicherungsrecht des Landes, aus dem er entsandt wird, unterfällt – so bei einer Entsendung aus Deutschland also weiter in die deutsche Arbeitslosen-, Kranken-, Pflege-, Renten- und Unfallversicherung einzahlt und damit zum Beispiel Rentenansprüche und Arbeitslosengeldansprüche in Deutschland erwirbt – und/oder dem Sozialversicherungsrecht des Landes, in das entsandt wird.

Sozialversicherung nur in einem, nicht mehreren EU-Mitgliedsstaaten gleichzeitig

Meist wird von Arbeitgeber und Arbeitnehmer der gänzliche Verbleib in der Sozialversicherung des Staates, aus dem entsandt wird, gewünscht, da bei einer Entsendung eine dauerhafte Rückkehr in der Regel geplant ist und ferner auch, um das Entstehen vereinzelter Ansprüche in anderen Ländern – wie z.B. minimaler Rentenansprüche aufgrund einer Einzahlung von wenigen Monaten – zu vermeiden.

Welchem nationalen Sozialversicherungsrecht der Mitarbeiter unterfällt, richtet sich bei einer Entsendung aus einem EU-Mitgliedsstaat, z.B. aus Deutschland, in einen anderen EU- oder EWR-Mitgliedsstaat oder die Schweiz nach EU-Recht: Die Verordnung (EG) Nr. 883/2004 vom 29. April 2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit trifft die hierfür relevanten Regelungen.

Nach der allgemeinen Regelung gem. Art. 11 Abs. 1 der Verordnung sind auf das Arbeitsverhältnis eines entsandten Mitarbeiters lediglich die sozialversicherungsrechtlichen Vorschriften eines – und nicht mehrerer – Staaten anzuwenden. Dies bietet eine enorme Vereinfachung, da ein Arbeitgeber bei einer Entsendung nicht etwa eine Abrechnung nach gegebenenfalls kollidierendem deutschem und bulgarischem Sozialversicherungsrecht vornehmen muss.


Verbleib in der Sozialversicherung des Entsendestaates bei Entsendung von max. 2 Jahren

Daran anschließend stellt sich die Frage, wie eine Entsendung so ausgestaltet werden kann, dass das Sozialversicherungsrecht des Staates, aus dem entsandt wird, weiterhin Anwendung findet. Nach der Sonderregelung in Artikel 12, Abs. 1 der Verordnung ist auf das Arbeitsverhältnis eines Arbeitnehmers dann das Sozialversicherungsrecht des Staates, aus dem er entsandt wird – in unserem Fall also deutsches Sozialversicherungsrecht – anzuwenden, wenn

  • der Arbeitgeber gewöhnlich in dem Staat, aus dem entsandt wird –z.B. Deutschland – tätig ist,
  • der Arbeitnehmer in dem Staat, aus dem entsandt wird – z.B. Deutschland – für Rechnung dieses Arbeitgebers eine Beschäftigung ausübt,
  • der Arbeitnehmer von diesem Arbeitgeber in einen anderen EU- oder EWR-Mitgliedsstaat oder die Schweiz entsandt wird, um dort eine Arbeit für die Rechnung des Arbeitgebers auszuführen,
  • dieser Arbeitnehmer nicht eine andere Person ablöst und
  • die voraussichtliche Dauer dieser Arbeit 24 Monate nicht überschreitet.

Sofern die Entsendung voraussichtlich maximal 2 Jahre dauert, sind Arbeitgeber und Arbeitnehmer also in der Regel „auf der sicheren Seite“ und können wie gewohnt nach den Vorschriften des Landes, aus dem entsandt wird, abrechnen. Hierfür muss ein sogenannter A1-Vordruck beantragt werden. Welche Stelle hierfür zuständig ist (z.B. Krankenversicherung oder DRV), wie die Beantragung abläuft und welche Vordrucke hierfür zu nutzen sind, hat für eine Entsendung aus Deutschland die Deutsche Verbindungsstelle Krankenversicherung – Ausland (DVKA) – hier aufgeschlüsselt.

Sonderfall 1: Entsendung von über 2 Jahren

Manche Entsendungen werden jedoch nicht in das obige Raster fallen. Insbesondere dann, wenn eine Entsendung voraussichtlich über 2 Jahre dauert, würde nach der obigen Regelung das Sozialversicherungsrecht des Staates, in den entsandt wird, Anwendung finden. Um dies zu vermeiden, kann – für die Weitergeltung des Sozialversicherungsrechts des Entsendestaates – eine Ausnahmevereinbarung beantragt werden, bei einer Entsendung aus Deutschland bei der DVKA.

Sonderfall 2: Ausübung einer Beschäftigung in mehreren Mitgliedsstaaten

Komplizierter ist die Rechtslage auch dann, wenn der Arbeitnehmer nicht nur in dem Staat, aus dem er entsandt wird – z.B. Deutschland – sondern auch in anderen EU- bzw. EWR-Staaten tätig wird. Hier gilt nach Art. 13 Abs. 1 der Verordnung

  • das Sozialversicherungsrecht des EU- bzw. EWR-Staates, in dem der Arbeitnehmer wohnt,
    • wenn er dort einen wesentlichen Teil seiner Tätigkeit ausübt oder
    • wenn er bei mehreren Unternehmen oder Arbeitgebern beschäftigt ist, die ihren Sitz oder Wohnsitz in verschiedenen Mitgliedstaaten haben, oder
  • wenn der Arbeitnehmer in dem EU- bzw. EWR-Staat, in dem er wohnt, keinen wesentlichen Teil seiner Tätigkeiten ausübt, das Sozialversicherungsrecht des EU- bzw. EWR-Staates,
    • in dem das Unternehmen, das den Arbeitnehmer beschäftigt, seinen Sitz hat bzw.
    • in dem der Arbeitgeber, der den Arbeitnehmer beschäftigt, seinen Wohnsitz hat.

Hierbei muss ferner ebenfalls die Feststellung der anwendbaren Rechtsvorschriften – bei Bezug zu Deutschland meist bei der DVKA – beantragt werden. Informationen zu den jeweils zuständigen Stellen sowie die erforderlichen Vordrucke stellt die DVKA zur Verfügung.

Sonderfall 3: Entsendung eines Drittstaatsangehörigen

Auch für die Entsendung von solchen Arbeitnehmern, die keine EU-Staatsangehörigkeit besitzen, gelten unter Umständen Sonderregelungen – dies ist jeweils für den Einzelfall zu prüfen.

Welches Sozialversicherungsrecht anwendbar ist und welche Bescheinigung hierfür wo zu beantragen, stellt sich also durchaus nicht als unkomplizierte Frage heraus. Arbeitgeber sollten sich daher rechtzeitig vor einer Entsendung entsprechend informieren und den jeweiligen Fall genau prüfen.

KLIEMT.Arbeitsrecht




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