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Restrukturierung und Betriebs(teil)übergang: Arbeitsrechtliche Strategie und Gestaltung

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Bei Restrukturierungen und Betriebs(teil)übergängen stellt sich aus arbeitsrechtlicher Sicht stets die Frage, welche Mitbestimmungsrechte auf betriebsverfassungsrechtlicher Ebene zu beachten sind. Der Betriebsübergang ist als solcher keine Betriebsänderung i.S.d. § 111 BetrVG und löst damit auch keine Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats aus. Erschöpft sich der Übergang jedoch nicht in einem bloßen Inhaberwechsel und wird mit Restrukturierungsmaßnahmen verbunden, die eine Betriebsänderung darstellen, sind Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats zu beachten. Der folgende Beitrag beleuchtet insofern strategische Überlegungen bei der Übertragung von Betrieben bzw. Betriebsteilen auf ein anderes Unternehmen.

Ausgangssituation bei Übertragung eines Betriebs(teils)

Zur Veranschaulichung zunächst folgendes Beispiel: Die K-GmbH mit Sitz in Düsseldorf möchte einen Betriebsteil der V-GmbH mit Sitz in Neuss erwerben. Aus gesellschaftsrechtlicher Sicht kommt hierfür nur ein Asset Deal (Übertragung von Vermögenswerten) in Betracht. Durch einen Share Deal (Übertragung von Gesellschaftsanteilen) würden lediglich ideelle Anteile an dem Unternehmen übertragen werden, ohne dass hiermit die einzelnen Vermögenswerte des Betriebsteils übertragen werden können.

Aus betriebsverfassungsrechtlicher Sicht kommen zur Umsetzung der geplanten Übertragung des Betriebsteils grundsätzlich zwei verschiedene Varianten in Betracht:

Variante A: Der Gemeinschaftsbetrieb

Nach erfolgtem Betriebsteilübergang gemäß § 613a BGB verbleibt der Betriebsteil, d. h. sämtliche Betriebsmittel sowie Mitarbeiter, am Standort der V-GmbH in Neuss. An der betrieblichen Struktur der V-GmbH am Standort Neuss ändert sich nichts. Dies ist rechtlich möglich, da der auf die K-GmbH übertragene Betriebsteil sodann mit den anderen Betrieben bzw. Betriebsteilen der V-GmbH am Standort Neuss einen Gemeinschaftsbetrieb bildet. Hierbei handelt es sich um einen gemeinsamen Betrieb rechtlich selbständiger Unternehmen, welches das Gesetz in § 1 Abs. 1 S. 2 BetrVG ausdrücklich vorsieht. Ein Gemeinschaftsbetrieb zeichnet sich insbesondere dadurch aus, dass er einem einheitlichen Leitungsapparat unterliegt. Die Unternehmen schließen hierzu eine entsprechende Führungsvereinbarung ab, wobei diese nicht nur ausdrücklich, sondern auch konkludent zustande kommen kann.

Variante B: Die Betriebsabspaltung

Alternativ können sich die K-GmbH und V-GmbH dazu entscheiden, nach erfolgtem Betriebsteilübergang die Betriebsstruktur der V-GmbH am Standort Neuss zu verändern und den übertragenen Betriebsteil insoweit aus der Betriebsorganisation der V-GmbH „herauslösen“. Der abgespaltene Betriebsteil kann dann als eigenständiger Betrieb oder gegebenenfalls als unselbstständiger Betriebsteil zum Hauptbetrieb der K-GmbH weitergeführt werden. Bei der Abspaltung handelt es sich insofern um eine Betriebsänderung nach § 111 BetrVG, die Mitbestimmungsrechte des zuständigen Betriebsrats auslöst.

Abwägung der Vor- und Nachteile

Klarer Vorteil der Variante A ist die schnelle und unkomplizierte Umsetzung des Betriebsteilübergangs. Für die Umsetzung sind nämlich keine Verhandlungen mit dem zuständigen Betriebsrat zu Interessenausgleich und Sozialplan gemäß § 111 BetrVG erforderlich. Ein Nachteil der Variante A besteht darin, dass der Betriebsrat der V-GmbH am Standort Neuss weiterhin für die Mitarbeiter des übertragenen Betriebsteils zuständig bleibt. Dies kann auch dazu führen, dass es größere Herausforderungen bei der Harmonisierung der Arbeitsbedingungen mit den anderen Standorten/Betrieben der K-GmbH gibt. Spiegelbildlich kann in der Variante B der übertragene Betriebsteil in Neuss (nach einer gewissen Übergangszeit) als eigenständiger Betrieb einen eigenen Betriebsrat etablieren und u.a. eigene Betriebsvereinbarungen verhandeln. Nachteilig bei Variante B ist jedoch der Umstand, dass die Abspaltung den Mitbestimmungstatbestand des § 111 BetrVG auslöst und mit dem zuständigen Betriebsrat zunächst Interessenausgleichs- und Sozialplanverhandlungen geführt werden müssen.

Praxishinweis

Es kommt auf den Einzelfall an, ob im Falle des Betriebs(teil)übergangs die Variante A oder Variante B vorzuziehen ist. Hierbei dürften insbesondere auch vorab zu klären sein, ob sich die unternehmerischen Ziele des Betriebs(teil)übergangs auch dann verwirklichen lassen, wenn man es bei den bisherigen betrieblichen und betriebsverfassungsrechtlichen Strukturen in Form eines Gemeinschaftsbetriebs belässt oder mit einer eigenen Betriebsorganisation aus unternehmerischen Gesichtspunkten besser fährt. Im Falle einer schnellen und unkomplizierten Betriebs(teil)übertragung ohne unmittelbaren Einfluss auf die betriebliche Struktur bietet sich Variante A an. Dies umso mehr, als dass mangels Betriebsänderung keine (meist langwierigen) Interessenausgleichs-und Sozialplanverhandlungen notwendig sind, um den Betriebst(teil)übergang umsetzen zu können. Zu beachten ist in dieser Konstellation jedoch, dass der bisherige Betriebsrat des übertragenen Betriebsteils weiterhin zuständig bleibt, was aus Sicht des Erwerbers ein Argument sein kann, Variante B zu wählen. Hierbei sind Interessenausgleichs- und Sozialplanverhandlungen allerdings unumgänglich.

 

KLIEMT.Arbeitsrecht




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