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Treuwidriges Berufen auf Ausschlussfristen: Können irrtümliche Überzahlungen auch nach Ablauf einer Ausschlussfrist zurückgefordert werden?

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Aus der arbeitsrechtlichen Vertragspraxis sind Ausschlussfristen bzw. Verfallklauseln kaum wegzudenken. Sie sind standardmäßiger Bestandteil der arbeitsrechtlichen Vertragsgestaltung. Dies hat gute Gründe. Schließlich regeln Ausschlussfristen bis wann Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis von den Vertragsparteien geltend gemacht werden können und dienen damit insbesondere der Schaffung von Rechtssicherheit.

Aber wie sind Fälle zu beurteilen, in denen Arbeitgeber irrtümlich Überzahlungen an Arbeitnehmer leisten und erst nach Ablauf der Ausschlussfrist auf diese aufmerksam werden? Können Arbeitnehmer in solchen Konstellationen die Rückforderung der Überzahlung unter Verweis auf die arbeitsvertragliche Ausschlussfrist generell verweigern? Ob die mit Ausschlussfristen bezweckte Schaffung von Rechtssicherheit in derart gelagerten Fällen ausnahmslos gilt, fasst dieser Beitrag zusammen.

Wirkungsweise von Ausschlussfristen

Dogmatisch handelt es sich bei der Ausschlussfrist um eine sog. rechtsvernichtende Einwendung, die vom jeweiligen Schuldner erhoben werden muss. Anders als bei rechtshemmenden Einwendungen, wie beispielsweise der Verjährungseinrede, die „lediglich“ dazu führen, dass der betreffende Anspruch dauerhaft oder sogar nur vorübergehend nicht durchgesetzt werden kann, führen Ausschlussfristen grundsätzlich zum endgültigen Erlöschen des Anspruchs.

Keine Regel ohne Ausnahme

Der Ablauf der Ausschlussfrist führt allerdings nicht in jedem Fall zum endgültigen Erlöschen des Anspruchs. In Konstellationen, in denen der Arbeitgeber irrtümlich bzw. versehentlich eine Überzahlung an den Arbeitnehmer leistet, erst nach Ablauf der Ausschlussfrist auf die Überzahlung aufmerksam wird und diese vom Arbeitnehmer zurückfordert, kann das Berufen des Arbeitnehmers auf die arbeitsvertragliche Ausschlussfrist treuwidrig sein, § 242 BGB. Der vermeintlich verspätete (regelmäßig bereicherungsrechtliche) Herausgabeanspruch des Arbeitgebers erlischt dann gerade nicht durch die rechtsvernichtende Einwendung des Arbeitnehmers.

Insbesondere in Fällen, in denen der Arbeitnehmer erkennt, dass er keinen Anspruch auf die vom Arbeitgeber erbrachte Leistung hat und diese auf einem Irrtum des Arbeitgebers beruht, geht die spätere rechtsvernichtende Einwendung des Arbeitnehmers – der Rückforderungsanspruch des Arbeitgebers sei erst nach Ablauf der Ausschlussfrist geltend gemacht worden und daher erloschen – ins Leere.

Schuldhaftes Herbeiführen des Irrtums

In Konstellationen, in denen der Arbeitnehmer den Irrtum des Arbeitgebers sogar schuldhaft herbeiführt und damit selbst die Grundlage für die irrtümliche Überzahlung schafft, kann die Rückforderung der Überzahlung oftmals zusätzlich auf einen Schadensersatzanspruch gestützt werden. Im Gegensatz zu dem herkömmlichen bereicherungsrechtlichen Herausgabeanspruch bietet dieser den Vorteil, dass er erst mit der mit Feststellbarkeit des Schadens (d.h. der Überzahlung) fällig wird und daher oftmals gerade noch nicht verfallen ist.

Fazit und Praxishinweis

Das Bestehen arbeitsvertraglicher Ausschlussfristen schließt die Rückforderung von Überzahlungen des Arbeitgebers an den Arbeitnehmer nach Fristablauf also nicht grundsätzlich aus. Arbeitgeber, die von einer versehentlichen Überzahlung Kenntnis erlangen, sind gut beraten, den Irrtum gegenüber dem Arbeitnehmer umgehend anzuzeigen, den Sachverhalt aufzuklären und den versehentlich überzahlten Betrag zurückzufordern. Insbesondere in Fällen, in denen der Irrtum des Arbeitgebers vom Arbeitnehmer schuldhaft verursacht wurde, lohnt es sich zu prüfen, ob die Ausschlussfrist mit Blick auf sämtliche potentielle Ansprüche des Arbeitgebers abgelaufen ist.

In der praktischen Umsetzung ist bei der Geltendmachung etwaiger Rückforderungsansprüche insbesondere an die Möglichkeit der Aufrechnung zu denken. Schließlich bietet die Aufrechnung dem Arbeitgeber ein effektives Gestaltungsmittel, seine Rückforderungsansprüche unmittelbar und einseitig mit bspw. zukünftigen Vergütungsansprüchen des Arbeitnehmers – unter Berücksichtigung der Pfändungsfreigrenzen des § 850c ZPO – zu verrechnen.

KLIEMT.Arbeitsrecht




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